queer feelings – feeling queer

Geneva Moser, 21. Mai 2019
Neue Wege 5.19

Begehren. Viel zu spät am Abend läuft die Serie. Ich lebe in meiner ersten eigenen Wohnung, und es gibt wenig feste Termine in meiner Woche. Die Serie ist einer davon. Unterschiedliche, attraktive, erfolgreiche und spannende Frauen, die Frauen lieben und damit nicht unglücklich zu sein scheinen: im deutschsprachigen Fernsehen damals eine Seltenheit. Für mich ein wöchentliches, einsames und doch kollektives Fest. Und das rare Gefühl, die gezeigten Lebensrealitäten hätten mit meinen etwas zu tun.

Kinship. Greta Garbo mit Erika Mann mit Annemarie Schwarzenbach mit Carson McCullers mit Janet Flanner mit Solita Solano mit Gertrude Stein mit Alice B. Toklas mit Sylvia Beach mit Adrienne Monnier mit Bryer mit Hilda Doolittle mit Djuna Barnes mit Mina Loy mit Vita Sackville-West mit Virginia Woolf …

Feeling Backward, sagt Heather Love (2007). Entgegen allen zukunftssüchtigen und normalisierenden lesbischwulen Politiken erinnert die Autorin an die historischen Verluste der queeren Bewegung. Statt glücksversprechende Ehe für Alle und einer Einstellung à la «wenn der Staat uns mag, ist alles gut» sagt sie: Die Integration queerer Lebensentwürfe in den Mainstream funktioniert nur unter der Bedingung, dass die Verbindung mit all jenen gekappt wird, denen diese Integration nicht gelingt. «Die nicht-Weissen, nicht-Monogamen, die Armen, die Genderdevianten, Fetten, Behinderten, Arbeitslosen, die Infizierten und eine ganze Reihe nicht-Benennbare. Die Versuchung zu vergessen ist heute stärker denn je.»

Pride. Post-Post Stonewall-Riots. Als die Aktivistinnen Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera in den späten 1960er Jahren gegen die gewaltvollen homo- und transfeindlichen Polizeirazzien im Greenwich Village in New York, beispielsweise in der Bar Stonewall Inn, ums Überleben und für die Anerkennung ihrer Existenz- und Begehrensweisen kämpften, war der Begriff «queer» noch nicht in Mode. Er war ein Schimpfwort. Wie bin ich den queeren Aktivist_innen von damals verpflichtet, wenn ich mich heute «queer» nennen oder «queer» handeln will? Was beinhaltet dieser von Kapitalismus und Staat angeeignete Begriff heute? 

Shame. Noch heute gibt es diese Momente. Ich sitze in Runden von mir unbekannten Frauen und höre die selbstverständlichen Nebensätze, in denen «mein Mann ist» oder «mein Freund hat» und «mein Partner sagt», und ich sage nichts. Eigentlich ist es unkompliziert: Es gibt weder den Mann noch das Possessivpronomen, es gibt dich und dich und dich vielleicht. Aber leider finde ich auch heute nicht das Wortgefüge für den Nebensatz und dich. Vielmehr schwitze ich und sage nichts. Tut mir leid.

Begehren. Wir schwitzen, wir atmen, wir lachen. Immer wenn ich dich finde, dann lasse ich dich gleichzeitig los. Arm für Arm, Rückgrat für Rückgrat, Becken für Becken, Schoss für Schoss etwas tiefer fallen, verschenken, hin-schenken, ent-lenken, los-denken: Mein Begehren ist nicht vollständig von Machtstrukturen bestimmt, produziert Bilder, kreiert Phantasien, reflektiert, verändert, visioniert. In der Begegnung taste ich mich an ein Verständnis des Körpers heran, ohne ihn einordnen zu können oder zu müssen. Die Allgemeinheit sozialer Kategorien bricht da und dort auf und übersetzt sich in Singularitäten, in Überraschung. Die vermeintliche Stabilität von Geschlechtern, sexuellen Identitäten, Körperformen und Grenzziehungen gerät ins Wanken, in Bewegung, wird verqueert.●

 

  • Geneva Moser,

    *1988, studierte literarisches Schreiben, Geschlechterforschung und Philosophie an der Kunsthochschule Bern und der Universität Basel. Sie ist Tanztherapeutin, schreibt freiberuflich und ist Co-Leitung der Neue Wege-Redaktion.