Manchmal ist die Angst ein guter Antrieb: «Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre», sagte Klimaaktivistin Greta Thunberg bei der Jahrestagung des Davoser Weltwirtschaftsforums im Januar. Die Angst ist berechtigt. Die Meere versauern, die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Arten sterben aus, die Ressourcen werden knapp. Die Angst ist nicht grundlos. Und Angst ist (m)ein Motor für politisches Engagement, sie kann mich in Bewegung versetzen. Sie zeigt mir die Dringlichkeit einer Veränderung an, lässt mich handeln.
Angst kann auch lähmen, mich in Starre versetzen: Ich lese von dem Anschlag in Neuseeland, Christchurch, mache holprige Gedankenschritte im Angesicht des Terrors. Den Terror verstehen wollen. Seine Topografien, seine Logiken. Durchdeklinieren, was die Kausalitäten sind oder sein könnten. Mein kleines Leben in Bezug setzen zum Überleben, zum Sterben. Die Angst lässt mich scheiternd klein beigeben. Scheitern in Anbetracht vom Karfreitagsglobus. Kurz darauf lese ich vom Anschlag in Sri Lanka. Ich stottere die Zahlen durch. Numerologische Verstehensversuche. Wieder scheiternd klein beigeben.
Manche Ängste kenne ich nicht aus eigener Erfahrung, nur als Lesende, Zuhörende, Beobachtende. «I can’t breathe», denke ich immer wieder. Jener schrecklich berühmte Satz, den der Afroamerikaner Eric Garner flüsterte, bevor ein Polizist ihn erwürgte. Ich wiederhole im Kopf die bekannten Namen jener, die Opfer von rassistischer Polizeigewalt wurden: Wilson A., Michael Brown, Eric Garner, Walter Scott, Sarah Bland, Philando Castile, Alton Sterling, Samuel Dubose, Freddie Gray, Antonio Zambrano Montes, Rumain Brisbon, Tamir Rice, Trayvon Martin … Ihre Todesangst werde ich nie verstehen, nachempfinden können. Den Rassismus, der sie tötete auch nicht.
Das gezielte politische Adressieren von Angst ist ein ambivalentes Unterfangen. Verdanken doch gerade Parteien wie die SVP oder die deutsche «Alternative für Deutschland» ihre Erfolge nicht zuletzt der populistischen Nutzung von Ängsten. Ihre politische Kommunikation ist in hohem Masse emotionalisiert. Angst als physiologische Erregung beeinträchtigt jene Teile des Gehirns, in denen Handlungspläne entwickeln werden. Angst macht also hilflos – und manipulierbar: Die Angstkommunikation in der Politik ergibt Sinn, weil Angst empfänglich macht für Lösungsvorschläge, für Strategien, die den (suggerierten) Auslöser der Angst beseitigen.
Und wer weiss in dieser komplexen Welt schon, welche Angstauslöser real sind und welche inszeniert, aufgebauscht, vorgetäuscht? Um das sorgfältige Prüfen von Fakten, um das Suchen nach den möglichen befreienden, geschwisterlichen, zukunftsfähigen Antworten komme ich in all dem Chaos nicht herum.
Manchmal ist die Angst, die mich erreicht, wie sein Ruf «Warum hast du mich verlassen?». Manchmal fährt mir sein Ruf in den Rücken, die Nackenhaut hinunter und ich kann den Hunger sehen.
Manchmal zieht sein Schrei durch meine Bauchdecke, und ich kann den Durst hören, die Einsamkeit ertasten.
Die Angst heisst: Ich bin verlassen. Aber auch: Ich habe verlassen.
Das Ungetröstetsein der Welt fällt mir vor die Füsse.
Und manchmal führt die Angst direkt zum grossen Versprechen der Furchtlosigkeit: Wenn ich ängstlich einschlafe, begegnen sie mir Traum wieder, die Koalitionen des Überlebens.
Der Glaube, der mir zustösst, ist jener kleine Moment der Entängstigung. ●