Barak

Geneva Moser, 17. März 2021
Neue Wege 1/2.2020

Unlängst war ich Gast im Gästehaus eines Klosters. Mit mir war ein emeritierter ­französischer Erzbischof ebenfalls Gast dort. Einem so hohen Würdenträger meiner Kirche war ich bisher noch nie begegnet. Mit ihm zwei Mahlzeiten einzunehmen und ein Stück Alltag zu teilen war zugegebenermassen etwas heraus­fordernd. Allein die Anrede bereitete mir Mühe: Monseigneur – mein Herr. Mit den Herren hab ich’s nicht so … Und dass Monseigneur während all der Tage nie selber sein Geschirr abgewaschen hat, sondern diese Aufgabe stets mir und den anderen weiblichen Gästen überliess, hat nicht gerade zur Dekonstruktion meiner Vorbehalte gegenüber den Herren dieser Welt beigetragen. Vor dem Essen pflegte der Erzbischof einen Segen über die Lebensmittel auf dem Tisch zu sprechen. Ohne Absprache war klar, dass das seine Aufgabe war, seine Kompetenz. Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn eines Mittags – ebenso ungefragt – ich an seiner Stelle ein Kreuz in die Luft malen und ein Gebet sprechen würde. So unpassend mir das im ersten ­Moment vorkam, so sinnvoll sind die Fragen, die an diese Überlegung geknüpft sind: Gibt es Hierarchien im «Draht zu G’tt»? Sind manche mehr bevollmächtigt zu segnen als andere? Ist mein Segen weniger wert als ein anderer?

Der Wortstamm «barak» für «segnen» taucht in der he­bräischen Bibel dort auf, wo die deutsche Sprache zwei Handlungen unterscheidet. Einerseits bezeichnet barak den Segen, den Menschen sich untereinander geben können und den G’tt gibt. Barak meint andererseits aber auch «loben», «preisen» oder «Dank sagen» und beschreibt eine Handlung, die Menschen G’tt gegenüber tun. Auch der lateinische (benedicere) und der griechische (eulogein) Begriff für Segen wird für beide Handlungen gebraucht und meint wörtlich übersetzt ungefähr «gut sprechen», also von jemandem gut sprechen, jemanden loben. Es ist nicht allein die deutsche Sprache, die hier ein «Von-oben-nach-unten» und ein «Von-unten-nach-oben» in diese Handlung trägt und zu unterscheiden beginnt. Diese Hierarchie, die im ursprünglichen Begriff nicht angelegt ist, findet sich in der ­Segenspraxis der ganzen globalen Kirche. Diese kleine Verschiebung baut in das Segnen auf Augenhöhe eine Hierarchie ein, ein Von-oben-nach-unten. Fest steht aber: Menschen segnen einander, Menschen segnen G’tt und G’tt segnet Menschen – schon in der Bibel. Alle können barak tun, ­barak sein. Barak ist immer dann, wenn Begegnung stattfindet, wenn Gemeinschaft gestiftet wird, wenn Schwellen und Übergänge das menschliche Leben prägen, wenn sich Freude an und Vertrauen in G’ttes Macht im menschlichen Alltag ausdrücken will. Barak ist Dankbarkeit – nicht um die Dinge schönzureden, sondern um auf sie einzuwirken, durch gutes Sprechen, durch Segen. Barak ist auch eine Art Grussformel, die tiefer dringt, die die g’ttliche Dimension jedes Menschen in den Gruss hineinnimmt. Ein befreiendes Verständnis von G’tt definiert G’tt zwar als «Macht in einem noch zu bestimmenden Sinn», weiss aber, dass diese Macht nicht unbezogen, absolut und unabhängig sein kann, sondern «uns Menschen braucht», wie es Dorothee Sölle formuliert.

Selbst wenn der besagte Erzbischof seine «Segens-Kompetenz» nicht theologisch rechtfertigen könnte, so würde ihm als Legitimation doch die tägliche patriarchale Praxis seiner Kirche dienen: So ist das eben, und zwar schon lange. Diese Gewohnheiten – Männer sind intellektuelle Gesprächspartner, Frauen natürlich begabt in der Sorgearbeit; den Segensworten eines Klerikers wohnt eine Art spirituelle Autorität inne; zwischen profanen Alltagstätigkeiten und sakralen Handlungen gibt es eine klare Trennung – sind tief verkörpert, sedimentiert in unserem Habitus, im Habitus einer ganzen Kirche. Auch Monseigneur meint das alles vielleicht nicht bewusst so – und tut es dennoch. Es ist eben ungewohnt, ­einander zu sagen: Ich segne dich, ich will für dich Segen sein, du segnest mich, wir segnen G’tt. Aber vermutlich braucht G’tt unseren Segen gerade sehr – während die Schreckensnachrichten in den Medien sich häufen, die Nerven blank liegen und die ­Sorge um die Welt G’tt um den Schlaf bringt.

* Gefühlsduselei [die] – Substantiv, feminin; umgangssprachlich abwertend.

  • Geneva Moser,

    *1988, studierte literarisches Schreiben, Geschlechterforschung und Philosophie an der Kunsthochschule Bern und der Universität Basel. Sie ist Tanztherapeutin, schreibt freiberuflich und ist Co-Leitung der Neue Wege-Redaktion.