Wenn meine Mitbewohner*innen und ich gemeinsam in einem Restaurant essen oder einen Kaffee trinken, machen wir manchmal einen etwas plumpen Scherz, sobald es um das Begleichen der Rechnung geht: Du, ich lade dich ein! Auch wenn der Scherz schon alt und abgelutscht ist, amüsiert er uns. Warum ist das lustig? Weil wir eine gemeinsame Kasse haben. Wir laden einander also ständig wechselseitig ein – oder eben gar nicht, denn das Geld gehört allen gemeinsam. Wir teilen (allfällige) Einnahmen und (allfälliges) Vermögen miteinander. Es gibt ein gemeinsames Alltagskonto, zu dem alle mit der eigenen Bankkarte Zugriff haben. Jede*r bekommt, was er oder sie braucht, alle wägen ihre Bedürfnisse eigenverantwortlich im Rahmen der gemeinsamen Möglichkeiten ab.
Vor acht Jahren habe ich mich zu dieser Form des Umgangs mit Geld entschieden. Dieser Schritt war mit Ängsten verbunden, mit vielen Fragen. Die ideologische Überzeugung war aber stärker, und mit der Zeit sind die Ängste und Unsicherheiten der Freude über das praktische Funktionieren und der Erleichterung gewichen.
Dieser Versuch einer alternativen ökonomischen Struktur, die gemeinsame Ökonomie, verbindet meine Wohngemeinschaft mit anderen Kommunen. Den Kommunen ist eine grundsätzliche Kritik der Verhältnisse im Kapitalismus und die Suche nach einer Alternative gemeinsam. Die gemeinsame Ökonomie, kurz Gemök, hat politische Konsequenzen.
Die offenkundigste Wirkungsweise der Gemök ist, dass sie Einkommensunterschiede ausgleichen kann. Damit hebelt sie ein Stück der Ungerechtigkeit aus, die in der gesellschaftlichen Einkommensverteilung steckt: Die Verteilung von Löhnen in der Gesellschaft ist in hohem Masse vergeschlechtlicht, entlang der Kategorien von Race und Klasse werden Menschen diskriminiert. In einer stabilen Gemök steht allen zu, was sie brauchen. Daran geknüpft sind Fragen von Suffizienz und kollektive Aushandlungsprozesse: Was brauche ich wirklich, um ein gutes Leben zu führen? Wie bekommen wir unsere jeweiligen Bedürfnisse unter einen Hut? Was brauchen wir als Gruppe? Die damit verbundenen Prozesse sind nicht per se konfliktfrei, können aber im besten Fall kreativ, gemeinschaftsstiftend und befreiend sein.
Im Zuge solcher Fragen werden oft auch materielle Ressourcen gespart und nachhaltiger eingesetzt – eine Waschmaschine reicht beispielsweise für 19 Personen. Die Gemök kann Zeit freisetzen, die sonst in den Zwängen der Einzelökonomie gebunden bleibt. «Ich bin nicht gezwungen, unter allen Umständen meine ‹Arbeitskraft› am ‹freien Markt› anzubieten und zu verkaufen, um meine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Ich werde nicht länger aufgrund meiner Leistung bewertet, sondern bin gleichberechtigter Teil einer Gemeinschaft, die sich fortlaufend über ihre Möglichkeiten und Wünsche verständigt», wie die Journalistin Regine Beyß schreibt. Die Zeit, die so gewonnen wird, kann stattdessen in Sorgearbeit, Selbstfürsorge, politischen Aktivismus, Nichtstun, Bildung und Vernetzung gesteckt werden. Die Suche nach einer Arbeitsstelle gestaltet sich freier. Der Schritt in eine berufliche Selbstständigkeit ist abgefedert durch die Kommune. Und das Beziehen von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld hat nicht quasi automatisch zur Konsequenz, fortan am Rand des Existenzminimums und der Gesellschaft leben zu müssen.
Gerade die emotionalen und sozialen Ungleichheiten werden durch die Gemök aber nicht automatisch ausgehebelt. Wenn ich über die Gemök spreche, sind die Reaktionen häufig emotional: Das könnte ich nie! Da gebe ich ja meine Autonomie auf! Was, wenn jemand das ausnutzt? Diese Reaktionen sind verständlich, gründen aber auf Annahmen, die ich nicht teile. Ich gehe davon aus, dass Menschen sich eher nach Zugehörigkeit und Partizipation sehnen, als danach, andere auszunutzen. Meiner Erfahrung nach besteht grosse Vorsicht im Umgang mit dem gemeinsamen Geld. Sind irgendwann doch Gefühle des Ausgenutztwerdens im Raum, muss das besprochen werden. Für eine Gemeinschaft sind solche Situationen immer auch Chancen, aneinander und miteinander zu wachsen, selbst wenn das nicht einfach ist.
Die Angst, die eigene Autonomie zu verlieren, setzt voraus, dass ich eine solche habe. Gerade wenn es um materielle Ressourcen geht, kann die eigene Autonomie immer nur eine fragile, vorläufige sein: Zu stark sind wir abhängig vom «freien Markt», sind angewiesen auf unser eigenes Funktionieren ohne «Scheitern». Eine Gütergemeinschaft kann da zumindest ein Stück Sicherheit bieten. Und sie ermöglicht es, mit finanziellen Sorgen und Fragen nicht allein zu sein: Wie fülle ich die Steuererklärung korrekt aus? Wie beantrage ich Ergänzungsleistungen? Was mache ich, wenn ich von meiner Herkunftsfamilie Schulden erbe? Für manche bietet die Gemök die Chance, eine relative finanzielle Autonomie überhaupt erst zu erleben: Was möchte ich wirklich? Wie will ich arbeiten? Wie geht es mir, wenn die Sorgen um Versicherung, Miete, Rückzahlungen von Schulden wegfallen? Gütergemeinschaft kann auch den Blick auf die gegenseitige Angewiesenheit öffnen: Abhängigkeit ist dann weniger bedrohlich als einfach menschlich.
Nicht nur wenn wir über das Begleichen der Restaurantrechnung scherzen, überzeugt mich diese Lebensform nach wie vor. Die Rechnung geht auf. Vielleicht wäre das auch etwas für Sie? Im August haben sich, vermutlich erstmals, Schweizer Gruppen mit gemeinsamer Ökonomie zur Vernetzung getroffen. An zwei Tagen haben sich die Kommunard*innen über Lust und Frust an dieser Lebensform ausgetauscht. Fest steht: Wir wollen sichtbarer sein, mehr ausstrahlen, andere anstecken!●