Die Fakten sind bekannt. Wir fassen sie unter Stichworten wie «Hockeyschlägerkurve», «Zeitalter des Anthropozän», «planetare Grenzen» oder dem Titel der vor 50 Jahren veröffentlichten Studie des Club of Rome, «Grenzen des Wachstums». Der Mensch ist zum relevantesten Einflussfaktor für alle biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse dieser Erde geworden – wir sind verantwortlich für eine sprunghaft ansteigende Erderwärmung, für ein enormes Artensterben, eine massive Verschmutzung der Natur und leben längst in einem Zustand permanenter Übernutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Mich persönlich versetzen diese Fakten in eine Kombination von Gefühlslagen: Entsetzen, Überforderung und Verdrängung. Das Resultat ist eine Grundstimmung von Resignation.
Dieser Resignation erfolgreich entgegengewirkt hat eine Tagung, die ich besuchte. Eine ökumenische Trägerschaft lud im Juli unter dem Titel «Den Riesen wecken» kirchliche Angestellte und Ehrenamtliche aus der Region zu einem Auftakttreffen in Mainz, um aus den 17 UNO-Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030, den SDGs, konkrete Handlungsoptionen für die Kirchen zu entwickeln. Kirchliches Engagement in diesem Bereich ist herausgefordert: Der immense Bedeutungsverlust von Kirche in der Gesellschaft, hierarchische und nicht selten träge Strukturen und enorme Arbeitsbelastung bremsen Klimaengagierte in den Gemeinden aus, das wurde an der Tagung deutlich. Kirchliches Engagement rund um Klimaverantwortung ist gleichzeitig naheliegend, weil die Kirchen als Einflussfaktor nicht zu unterschätzen sind: In Deutschland haben sie beispielsweise ein geschätztes jährliches Einkaufsvolumen von 60 Milliarden Euro – ein beachtlicher Hebel! Kirchliches Engagement in diesem Bereich ist aber auch naheliegend, weil die Bewahrung der Schöpfung zu einer christlichen Ethik gehört: eine Ethik des Genug, eine Haltung der Ehrfurcht und der Dankbarkeit gegenüber der Natur, eine Freude am Lebendigen …
Religion könnte deshalb für Veränderung ein einflussreicher Faktor sein: Transformationsforscher*innen wie die Nachhaltigkeitsexpertin und Politökonomin Maja Göpel (Unsere Welt neu denken) oder der Physiker Thomas Bruhn (Nachhaltigkeit und Bewusstseinsentwicklung: Neue Denkweisen und Geisteshaltungen), der an der Tagung die Keynote hielt, beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie unterschiedliche Subjekte zu einem Wandel beitragen können. Was braucht es, um Akteur*innen aus unterschiedlichen Kontexten zusammenzubringen? Wie muss Wissenschaftskommunikation erfolgen, damit sie ankommt? Wie können wir gemeinsam die Welt neu denken? Etwas neudeutsch formuliert: Welches Mindset bringt den System Change?
Was bei Bruhn manchmal verdächtig nach Marketingsprech klingt und da und dort ins Esoterisch-Unkonkrete abzudriften droht, ist bei Göpel faktenschwer und immer an Fragen der sozialen Gerechtigkeit gekoppelt. Sie zeigt eindrücklich auf, wie der ungebrochen Gültigkeit beanspruchende Begriff des Wachstums längst ausgedient haben müsste. Sie bringt prägnante Beispiele, wie sich die Verantwortung für die Umweltkatastrophe global ungleich verteilt und wie ein regulierender Staat nun dringend notwendig wäre.
Thomas Bruhn hingegen betont – und das ist wohl mehr als ein Zugeständnis an sein Zielpublikum bei der Keynote an der Tagung – die Relevanz von kirchlichen Akteur*innen. Weil die Fakten zur Klimakatastrophe längst auf dem Tisch sind, weil wir die Gefühlslagen des Entsetzens, der Überforderung und der Verdrängung alle kennen, braucht es Räume der Begegnung, der gegenseitigen Stärkung und des Mitgefühls. Kirchen könnten genau dafür Räume offenhalten: Selbstwirksamkeit ermächtigen, eine Freiheit ZU statt VON vermitteln, die Hoffnung nähren, Erfahrungsräume schaffen … Hier liegt ein grosses Potenzial der Kirchen (oft brach). Und wenn das auch nur bedeutet, den Religionsunterricht in den Wald zu verlegen oder sich endlich um die Anschaffung der lange geplanten Fotovoltaikanlage zu kümmern oder in der Klostergemeinschaft die Debatte um den Fleischkonsum nochmal neu zu lancieren – Hauptsache, die Resignation ist überwunden und das Gefühl von kollektiver Wirksamkeit gestärkt! Das abschliessende «Handlungspanorama», das an der Tagung entworfen wurde, stand unter der Frage: «Was kann ich am Montag konkret in die Tat umsetzen?» Die Teilnehmenden waren sich rasch einig, dass punkto Klimaverantwortung heute, Samstag, bereits Montag ist und sein muss.●
*1988, studierte literarisches Schreiben, Geschlechterforschung und Philosophie an der Kunsthochschule Bern und der Universität Basel. Sie ist Tanztherapeutin, schreibt freiberuflich und ist Co-Leitung der Neue Wege-Redaktion.