Ich kaufe ein paar Zwiebeln bei ihr ein. Nachdem wir zwei, drei Minuten geplaudert haben, lächelt sie mich an. Mit einem schelmischen Zwinkern in den Augen schüttelt sie meine Hand und sagt: «Ich mag dich sehr.» Zwei Minuten später sagt sie es nochmals, mit mehr Nachdruck. Ich lache und versuche das Thema zu wechseln, frage, ob sie Kinder hat. Sie erwähnt eine siebenjährige Tochter und fügt hinzu, sie sei nicht verheiratet. Dann fragt sie: «Und du, hast du ein Kind?» – «Nein.» – «Warum nicht?» – «Ich habe keinen Mann.» – «Ich mag dich wirklich, warum bist du nicht verheiratet?» – «Ich mag das nicht.» – «Dann werde ich dich heiraten.» Ich lache und frage zurück: «Und wer wäre der Mann?» – «Du», kam die Antwort.
Die Zwiebelhändlerin hiess Amma Opoku. Eine andere Händlerin auf dem Markt einer ghanaischen Kleinstadt hatte mich zu ihr geschickt. Denn es gab ein Gerücht über sie: Kinder hätten bei ihr eines Nachmittags durch den Fensterladen gespäht und beobachtet, wie sie mit einer Freundin Sex hatte, der Übername ekye ne ekye (Vulva und Vulva) wurde ihnen nachgerufen.
Im Dezember 2007 lernte ich ein regionales Frauenfussballteam kennen, das jeden Morgen und Abend trainierte. Dafür erhielten sie ein bisschen Geld, und diejenigen, die keine bessere Bleibe hatten, hausten zusammen in einem unfertigen Gebäude am Stadtrand, das ihnen der Club zur Verfügung stellte. Der Club wurde von einer Telecom-Firma betrieben in der Hoffnung, über den Fussball, den populärsten Sport Westafrikas, ihre Produkte bewerben zu können. Ausserhalb des Trainings organisierten sich die jungen Fussballerinnen selber. Wenn ältere Teammitglieder jüngere unter ihre Fittiche nahmen, war oft die Rede von Teammüttern und Teamtöchtern. Im folgenden Tagebucheintrag schrieb ich 2007 über drei Mitglieder dieses Fussballteams. Ich nenne sie Aisha, Naa und Edna.
«Es ist ein friedlicher Abend. Wir saugen Orangen aus, sechs oder sieben Fussballerinnen und ich, auf den Treppenstufen neben dem Taxistand. Mitten unter uns Edna. Wie immer anhänglich. Sie kuschelt sich an ihre Liebste, die etwas ältere Aisha. Sie flirten und necken sich. Doch plötzlich kippt ihre Neckerei in lautes Gezänk. Ein langjähriges Mitglied des Fussballteams sieht mir meine Verwunderung an und gibt mir eine Zusammenfassung ihrer Beziehungsgeschichte. Edna wollte sich von ihrer ersten Liebe Naa trennen. Naa war gleichzeitig Ednas Teammutter. Doch kurz bevor Naa das Fussballteam verliess, um eine richtige Stelle bei der Polizei anzunehmen, spürte sie, dass Edna sich von ihr distanziert hatte. Sie beschloss Edna zu ‹testen›: Naa bat Aisha, eine gute Freundin aus dem Team, Edna den Hof zu machen, um zu schauen, ob Edna darauf einsteigen würde. Die für mich unlogische Idee war: Wenn Edna sich auf Aishas Liebesangebot einliess, bedeutete dies, dass Edna bereits zuvor mit anderen Frauen angebändelt hatte und sich deshalb von Naa abwandte. Der Test wurde Ernst, als sich Aisha in Edna verliebte und nicht wusste, wie sie dies Naa kommunizieren sollte.»
Als Forscherin wusste ich nie so recht, was ich von solchen Geschichten halten sollte: wenn junge Frauen ihre Liebsten untereinander weitergaben, was zu Eifersüchteleien und Rivalitäten führte, oftmals zu gebrochenen Herzen und immer zu endlosem Getratsche. Nicht nur die Fussballerinnen erachteten das Getratsche und den Mangel an Privatsphäre als das Grundproblem ihres Lebens oder sogar als Quelle aller Übel in Afrika. Viele Frauen, die Frauen lieben, stellten sich vor, dass in Europa und Nordamerika alles anders sei, weil die Menschen sich in Ruhe lassen, Distanz wahren, sich nicht einmischen. Solchen Vorstellungen entgegnete ich, dass «dyke dramas» unter lesbischen Frauen in Westeuropa genauso präsent seien wie in Ghana. Zugegebenermassen waren die Dramen in Ghana besonders heftig: Während die stereotype weisse Mittelschichtslesbe finanziell scheinbar auf eigenen Füssen steht, bewegte ich mich in Ghana unter Frauen, die auch materiell voneinander abhängig waren, die sich umeinander kümmern und sich gegenseitig aushelfen mussten, um überleben zu können.
Die queeren Freundschaftsnetzwerke, denen ich in Ghana begegnete, basierten nicht so sehr auf stabilen Paarbeziehungen, sondern auf Verbindungen wie derjenigen zwischen Naa und Aisha. Wenn eine Freundschaft getestet, wiederbelebt oder aufgekündet wurde, war meist eine Drittperson involviert, wie diejenige, die mir die ganze Geschichte erzählt hatte. Und nicht nur Teammütter und Teamtöchter mischten in den Liebesbeziehungen ihrer besten Freundinnen mit. Der Einbezug von vermittelnden Freundinnen und Bekannten und manchmal Verwandten war ein integraler Bestandteil vieler Beziehungen. Vielerorts auf der Welt spielen queere Freundschaftsnetzwerke eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, eine Geliebte oder potenzielle Partnerin zu finden. Aber vielleicht sind informelle queere Netzwerke dann besonders wichtig, wenn die Liebesvermittlung inoffiziell stattfindet und nicht so sehr ins Internet oder auf eine Bar- und Clubszene ausgelagert werden kann. Junge Frauen wie Edna verlassen sich nicht nur bei der Partnerinnensuche auf «best friends», sondern auch bei der Arbeitssuche, wenn das Geld ausgeht, wenn ein Zimmer vonnöten ist, um sich mit einer Liebsten zurückziehen zu können, oder auch wenn hungrige Nichten gefüttert oder alternde Grosseltern gepflegt werden müssen.
Diese Intimitäten zwischen Freundinnen existieren parallel zum und jenseits vom Kampf um LGBT-Rechte. Sie eröffnen ein Spektrum von sinnlichen, erotischen und alltäglichen Formen von Nähe und Verbundenheit, bei denen die Grenzen zwischen Freundschaft, Sexualität und Verwandtschaftlichkeit nicht immer trennscharf sind. Nicht weil diese Frauen keinen Unterschied machen zwischen verschiedenen Formen der Liebe, aber weil einfache Trennlinien im alltäglichen (Über-)Leben unerschwinglich sind. Grenzziehungen und strenge Kategorisierungen haben wenig Platz im prekären Alltag von Schwarzen Frauen und Queers in der postkolonialen Welt. Und so sind auch exklusive Beziehungen und Kategorien sexueller Identität nicht immer die attraktivste Option im Leben.
Vielleicht hatte Amma von meiner Forschung über Frauenbeziehungen gehört und ging davon aus, dass mich ihre Heiratsavance nicht schockieren würde. Doch selbst wenn sie von meiner Forschung nichts wusste, war unser Gespräch unverfänglich: Erstens steht die Figur des Ehemanns immer auch für sozioökonomische Absicherung, zumindest verbindet sich mit Heirat die Hoffnung, dass (auch) er Geld verdient und bezahlt. Und zweitens, selbst wenn ich irritiert gewesen wäre über ihre Avance, hätte sie mit einem unschuldigen «Aber wie könnte eine Frau denn eine Frau heiraten?» alles zurücknehmen und behaupten können, sie habe nur gewitzelt.
Ich war weit entfernt von Heirat, hatte weder Mann noch Frau, als ich mich in Ghana auf die Suche machte nach Frauen, die Frauen lieben. Und klar, mein Forschungsinteresse an ihren intimen Lebens- und Liebesgeschichten generierte Rückfragen. Sie fragten sich, wonach ich denn wirklich suche, wenn nicht nach Liebe für mich selbst. Genauso verständlich war die andere, häufig gestellte Frage nach meiner Herkunft. Oft sagte ich auf Akan Twi, ich sei obofa, dadefa, halb Stein, halb Eisen, eine alte ghanaische Metapher für Menschen mit einem doppelten kulturellen Erbe. Egal ob mein Wissen um diese altmodische Redensart geschätzt oder belächelt wurde, es verwies auf mein Akan-Erbe und auf meinen «gemischten» Status, auf meine Position als ghanaische Europäerin, aussen vor und mittendrin zugleich.
In der Kolumne Anstoss! richten Menschen of Color rund um das Netzwerk Bla*Sh ihre Blicke auf gesellschaftliche Machtstrukturen.
Sie wechseln sich Monat für Monat ab mit der Kolumnistin Iren Meier.
*1975, ist Sozialanthropologin, Moderatorin, Musikerin und lebt in Bern. Sie ist Mitherausgeberin des Sammelbands Racial Profiling: Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand (Bielefeld 2019) und Autorin der Ethnografie Knowing Women: Same-Sex Intimacy, Gender, and Identity in Postcolonial Ghana (Cambridge, im Erscheinen).