«Religion an sich hat aus Sicht der Medien keinen Nachrichtenwert», sagte Vinzenz Wyss 2019 an einer Tagung im Politforum Bern. Der Journalistik-Professor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat in seinem Statement sogenannte säkulare Medien vor Augen. Deren Kerngeschäft ist die Berichterstattung über Themen wie Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Kirche und Religion gehören offensichtlich nicht dazu.
Dass Religion in Zeiten, in denen gut ein Viertel der Bevölkerung keiner Religion mehr angehört, an Bedeutung verliert, liegt auf der Hand. Es zeigt sich auch daran, dass nur noch wenige säkulare Medien über eigene Religionsabteilungen verfügen – vom öffentlich-rechtlichen Sender SRF einmal abgesehen – und 2018 mit dem Tessiner Giornale del Popolo die letzte katholisch geprägte Tageszeitung eingestellt wurde.
Angesichts dieser Entwicklung mag es erstaunen, dass es nach wie vor eine Fülle konfessioneller Medien gibt: Knapp fünfzig «konfessionelle und konfessionsnahe Medien» listet der Schweizerische Katholische Presseverein in seinem ökumenischen, christlichen Medienverzeichnis allein für die Deutschschweiz auf.
Dabei handelt es sich sowohl um klassische Printprodukte wie das reformierte Monatsmagazin bref, Onlineportale wie feinschwarz.net, Ordenszeitschriften wie das Ite der Schweizer Kapuziner, durch Kirchensteuern mitfinanzierte Medien wie das Onlineportal kath.ch oder kirchlich unabhängige Abo-Zeitschriften wie Sonntag, Nischenprodukte wie die feministisch-theologische Zeitschrift Fama oder die gesellschaftspolitisch links stehenden Neuen Wege, freikirchlich geprägte Webportale wie Life Channel und Livenet, die katholisch als konservativ geltenden privaten Sender Radio Maria und Radio Gloria ebenso wie die unabhängige Zeitschrift Aufbruch, einst Pionierin in Sachen progressiver Kirchenpolitik.
Was aber leisten konfessionelle Medien heute? Welche Aufgabe kommt ihnen zu in einem medialen Umfeld, das der Religion keinen Nachrichtenwert mehr zuschreibt?
Mit «konfessionellen Medien» meine ich im Folgenden all jene christlichen Medien, die einem journalistischen Ansatz verpflichtet sind und deren inhaltlicher Fokus auf den Themenbereichen Kirche und Religion liegt, unabhängig von ihrer Finanzierung und Publikationsform. Meine Einschätzung basiert aufgrund meiner beruflichen Herkunft primär auf den katholischen Medien. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wo nötig, spreche ich explizit von «kirchlichen Medien», die durch Kirchensteuern mitfinanziert werden.1
Wenn säkulare Medien über Religion berichten, so liegt der Fokus dabei oftmals nebst Lokalem und Exotischem auf Konflikthaftem, wie ein Blick in den Medienspiegel von kath.ch rasch erkennen lässt. So wurde kürzlich im Tages-Anzeiger ein Missbrauchsfall im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg publik gemacht, neue Ergebnisse desselben Falls wurden in der Rundschau von SRF ausgestrahlt. Der abrupte Rücktritt von EKS-Präsident Gottfried Locher war in allen Schweizer Leitmedien Thema, und auch Querelen innerhalb des Bistums Chur machen regelmässig Schlagzeilen in säkularen Medien. Dass dasselbe noch weit stärker für die Berichterstattung über muslimische Themen gilt, belegen inzwischen mehrere Studien.
Vor diesem Hintergrund kommt konfessionellen Medien die Aufgabe zu, hier ein Korrektiv zu schaffen. Dieses besteht einerseits darin, vertiefte Informationen zu liefern und Ereignisse in einen Kontext zu stellen: «Unsere journalistische Aufgabe besteht im Einordnen», sagt Pascale Huber, Geschäftsführerin der Reformierten Medien, welche das Monatsmagazin bref herausgeben und das tagesaktuelle Newsportal ref.ch betreiben, auf Anfrage. Sie stellt in der Gesellschaft ein wachsendes Bedürfnis nach Austausch mit Fachleuten aus Theologie und Religionswissenschaft fest.
«Unsere Themen werden in säkularen Medien oftmals nicht mehr von Redaktor*innen mit Fachkenntnissen behandelt.» Als Beispiel nennt sie die Berichterstattung rund um den Rücktritt von EKS-Präsident Gottfried Locher. Während der Theologe Josef Hochstrasser in einem Gastkommentar in den Zeitungen der Tamedia von einem «Racheakt» gegen Locher sprach, habe das Portal ref.ch das Vorgehen in einen umfassenderen Kontext von Frauenfeindlichkeit und mangelnder Geschlechterdiversität innerhalb der Kirche gestellt.
«Das Wissen über Religion und Kirche in unserer Gesellschaft nimmt ab», so Huber. Journalist*innen mit einer guten Allgemeinbildung hätten noch vor zwanzig Jahren mehr über das Christentum gewusst als heute. Hier sieht sie auch für die Zukunft eine wichtige Aufgabe kirchlicher Medien. Dennoch würde auch sie im Zweifelsfall «lieber eine Journalistin als eine Theologin» einstellen und diese dann in theologische Themen einführen. Es sei wichtig, dass Redaktor*innen kirchlicher Medien eine kritische Distanz zur Institution Kirche hätten und die richtigen Fragen stellen könnten. Dazu brauche es den Austausch innerhalb der Fachredaktionen kirchlicher Medien.
Auch Charles Martig, Direktor des Katholischen Medienzentrums, welches das Newsportal kath.ch betreibt, sieht die primäre Aufgabe kirchlicher Medien in der Information, «im Darstellen, was Sache ist – wie zum Beispiel eine Bischofswahl abläuft – wie sich die Kirche verändert, wie sich Werte innerhalb der Gesellschaft verändern». Auch er stellt ein zunehmendes Bedürfnis der Gesellschaft fest, über Glauben und Werte zu diskutieren, und sieht daher in der «Glaubenskommunikation» eine weitere wichtige Aufgabe kirchlicher Medien. Sichtbar werde dies etwa in Kommentaren zu Newsartikeln von kath.ch in den sozialen Medien.
Dass dieses Bedürfnis nach vertieftem Wissen über Glauben und Theologie vorhanden ist, zeigt auch die Lancierung eines neuen katholischen Magazins durch die Dornbusch-Medien Anfang September: ASO, das akademische Magazin des Sonntag, greife «zeitnah dominierende Themen auf, um sie theologisch auszuleuchten», sagt Redaktionsleiter Anton Ladner gemäss Medienmitteilung. Zu Wort kommen sollen «Autoren mit hoher Expertise in Theorie und Praxis». Einem solchen Austausch auf theologischer Ebene sieht sich auch das «theologische Online-Feuilleton» feinschwarz.net verpflichtet, das 2015 in den deutschsprachigen Ländern gegründet wurde und 2017 in einer Untersuchung des Datenverkehrs von über 400 deutschsprachigen christlichen Blogs die grösste Resonanz in den sozialen Medien aufwies.
Konfessionellen und kirchlichen Medien kommt in Zeiten, in denen konfessioneller Religionsunterricht nicht mehr Teil des schulischen Lehrplans ist, zunehmend die Aufgabe zu, Sachwissen rund um die eigene Konfession zu vermitteln: Nicht wenige katholische Pfarreiblätter ebenso wie ihre reformierten Pendants, aber auch das freikirchliche, multimediale Webportal Life Channel führen Serien zu Feiertagen und Bräuchen des Kirchenjahres, zu den Sakramenten, Erläuterungen biblischer Texte, manche publizieren auch Informationen über die islamische Pilgerfahrt oder den islamischen Fastenmonat Ramadan.
Darüber hinaus übernehmen konfessionelle Medien vermehrt auch eine Dolmetscherfunktion: Viele Menschen, die nie einer Glaubensgemeinschaft angehört haben, verstehen etwa die innerkatholischen Debatten rund um den Zölibat oder die vatikanische Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen nicht. Hier bieten konfessionelle Medien Aufklärung. In dieser Rolle erfüllen sie auch eine Zuliefererfunktion für säkulare Medien, wie Anfragen derselben an die Redaktion von kath.ch zeigen.
Im Unterschied zu säkularen Medien haben konfessionelle und erst recht kirchliche Medien die Möglichkeit, Geschichten über all jene «unbedeutenden» Menschen zu erzählen, die Kirche mitgestalten, die jedoch für säkulare Medien oft zu unspektakulär sind: ein Interview mit einem Seelsorger für Künstler*innen, ein Porträt einer Frau, die in Rapperswil ein Wegkreuz mit Blumen schmückt, eine Reportage über eine Kirchgemeinde, die Geflüchteten eine Attestlehre ermöglicht, ein Beitrag über eine Ordensfrau, die während dem Lockdown in der Zürcher Langstrasse Essenspakete verteilt …
Konfessionelle Medien greifen über die innerkirchliche Berichterstattung hinaus auch Themen anderer Religionsgemeinschaften auf. So findet sich auf kath.ch auch ein Bericht über einen Rundgang durch das jüdische Zürich, im bref wurden ein junger Islamwissenschaftler an der Uni Freiburg und eine junge Islamwissenschaftlerin an der Uni Luzern porträtiert. Von den nicht öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften wird diese Funktion durchaus wahrgenommen, und die Beiträge werden auf den eigenen Social-Media-Kanälen weiterverbreitet, wie Önder Güneş, Mediensprecher der Föderation Islamischer Dachorganisationen der Schweiz (FIDS), auf Anfrage bestätigt.
Nochmals einen anderen Fokus legen konfessionelle Medien, die nicht kirchlich mitfinanziert werden. Zwei kleinere, ökumenische Publikationen wie die feministisch-theologische Zeitschrift Fama oder die Neuen Wege treten im Unterschied zu den bisher genannten Medien mit einem klaren politischen Impetus auf, die Gesellschaft zu verändern. Dieser wird, im Sinne der Befreiungstheologie, aus dem Evangelium motiviert. Der gesellschaftskritische Ansatz nimmt soziale Themen wie «Wirtschaft ist Care», Gendergerechtigkeit oder Klimaschutz in den Blick, dies auf einem theologisch anspruchsvollen Niveau und, insbesondere bei den Neuen Wegen, oftmals mit einem Appell zum Handeln.
Mit «Vermittlung von Hoffnung» könnte man einen Aspekt bezeichnen, den Anton Ladner, Redaktionsleiter der von den Dornbusch-Medien herausgegebenen Publikationen Sonntag und Doppelpunkt erwähnt: Ladner zitiert Papst Franziskus, wonach Medien Geschichten erzählen sollen, «die erbauen, nicht zerstören». Es gehe dabei nicht in erster Linie um die Vermittlung von Wissbarem, «sondern um Berichte, die das Leben bereichern, verändern zum Guten». Entsprechend berichte der Sonntag, der sich katholischen Werten verpflichtet sehe, «in erster Linie über Inhalte für eine Wertschätzung des Lebens». Als Beispiel nennt er einen Beitrag über ein Säugetier, das keinen Schmerz empfinde, keinen Krebs bekomme, kaum altere und «deshalb Hoffnungsträger für die Forschung ist». Ladner versteht das bereits erwähnte neue Magazin ASO denn auch als «Beitrag, die katholische Kirche in der Schweiz wieder zum Blühen zu bringen».
Die Zusammenstellung zeigt, dass konfessionelle Medien in einer Gesellschaft, in der Religion an Bedeutung verliert, nach wie vor wichtige Funktionen erfüllen. Bei der Frage nach ihrer Zukunft gilt es zwei Entwicklungen zu berücksichtigen.
Zum einen wird die Medienlandschaft digitaler und sieht sich laufend neuen elektronischen Plattformen gegenüber. Da jede Privatperson mit ihrem Facebook-, Twitter- oder Instagram-Account eine eigene öffentliche Plattform hat, wodurch sich auch Fake News rasant verbreiten, kommt den konfessionellen Medien mit ihrem kritischen, journalistischen Ansatz und ihrem Fachwissen auch in Zukunft eine wichtige Bedeutung in der Berichterstattung und Aufklärung über religiöse Themen zu.
Bei abnehmender Zugehörigkeit zu lokalen Pfarreien und Kirchgemeinden dürfte vor allem den Onlinemedien die Funktion zukommen, einen Austausch über Fragen rund um den eigenen Glauben anzuregen: «Dialog und Interaktion über Glaubensfragen haben sich ins Internet verlagert», bestätigt auch Charles Martig. Dass Menschen weniger in die Pfarreien gingen, bedeute nicht, dass sie weniger Interaktion suchten. Gerade die Coronakrise mit der Onlineübertragung von Gottesdiensten habe gezeigt, dass Gemeinschaftsbildung auch in der digitalen Sphäre stattfinden könne. Die katholische Kirche gehe jedoch noch immer stark von einer physischen Präsenz der Gläubigen in den Gottesdiensten aus. Hier ortet Martig Potenzial insbesondere für digitale kirchliche Medien, zu einer Veränderung des Kirchenbildes beizutragen. Dies vor allem bei jenem grossen Teil von Gläubigen, die keine Gottesdienste besuchten.
Ein Beispiel, wie ein solcher Austausch aussehen kann, liefert das Projekt reflab, welches die reformierte Kirche im Kanton Zürich dieses Jahr lanciert hat: In Blogs, Videos und Podcasts diskutieren Fachleute über Glaubensfragen und ermuntern die Zuhörenden zu Kommentaren. Diese werden dann in einer der nachfolgenden Sendungen aufgegriffen.
Vor sehr grossen Veränderungen dürften die kirchlich mitsubventionierten Medien stehen, deren finanzielle Grundlage mit dem Mitgliederschwund der Landeskirchen bedroht ist. Der Druck auf deren redaktionelle Unabhängigkeit könnte zunehmen, indem seitens der Bistümer oder Landeskirchen erwartet wird, dass die Medien ein möglichst positives Bild der Kirche vermitteln – in der Hoffnung, damit die Institution zu retten. Auch sind ökumenische Fusionen zu erwarten. Und vor allem auf katholischer Seite steht auch die Frage im Raum, wie die Stimme der wachsenden Anzahl Katholik*innen mit Migrationshintergrund adäquat abgebildet werden kann.
Nicht verändern dürfte sich in der Gesellschaft jedoch das Bedürfnis nach Information zu religiösen Themen und nach Austausch über Fragen nach dem Sinn, über Werte und ethische Haltungen.
Die Finanzierung dieser Medien ist komplex und sieht für jedes Medium anders aus. Sie geschieht einerseits über Kirchensteuern und andere kirchliche Finanzquellen, je nach Medium zusätzlich durch Anzeigen, Abos und andere Quellen. Konkret gemeint sind regionale Pfarreiblätter, Kirchenboten, reformiert. (nur teilweise kirchlich mitfinanziert), auf überregionaler Ebene das Magazin bref sowie die Onlineportale kath.ch und ref.ch. Die lokalen Publikationen informieren auf den Pfarrei- oder Gemeindeseiten über deren Gottesdienste und Anlässe. Im journalistischen
Teil wird in den meisten Fällen – je nach Redaktionsstatut – in redaktioneller Unabhängigkeit berichtet.
*1966, war bis Ende März Redaktionsleiterin beim katholischen Newsportal kath.ch. Sie ist heute Redaktorin beim Pfarrblatt Bern und beim Kantonalen Pfarreiblatt Luzern.