«Wenn nachher noch etwas ist, erlebe ich das kaum als Leneli Altwegg mit»

Matthias Hui, Kurt Seifert, 16. November 2018
Neue Wege 11/2018

Mit 94 Jahren ist die Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod Alltag. Die ehemalige Pfarrerin und Anti-Apartheid-­Aktivistin Leni Altwegg entwickelt im Gespräch ihre Theologie der Freiheit.

NW Vor vier Jahren haben Sie in den Neuen Wegen geschrieben: «Die Zukunft ist zwar voraussichtlich kurz, kann sich aber in die Länge ziehen. Und die Aussichten sind nicht rosig: Insgesamt kann es nur noch bergab gehen, der Auflösung entgegen. Diese Auflösung, das heisst der Tod, ist das einzig Sichere, nicht aber das Wie.» Die Zukunft zieht sich in die Länge. Verändert sich dadurch Ihre Perspektive auf den Tod nochmals?

LA Es verleidet mir ein wenig, das muss ich sagen. Dabei habe ich aber ein schlechtes Gewissen: Ich habe so viele Gründe, dankbar zu sein. Aber das Leben wird auch immer schmerzhafter und mühsamer. Gestern dachte ich dies auf der Grossmünstertreppe. Die Beine mögen nicht mehr, der Rücken mag nicht mehr. Nach diesem heissen Sommer, in dem ich nicht viel nach draussen gehen konnte, ist es noch ärger geworden. Körperlich geht es abwärts. Man wünscht sich, eines Morgens nicht mehr zu erwachen. Ich möchte einfach mal gehen. Abtreten. 

NW Sie haben als Pfarrerin unzählige Menschen während Krankheiten und im Alter begleitet, vielen Menschen geholfen, mit dem Sterben und dem Tod naher Menschen zu Rande zu kommen. Machen diese Erfahrungen nun etwas aus, jetzt, wo Sie selber alt sind? Oder buchstabieren Sie alles von neuem durch?

LA Ich nehme schon an, dass ich ohne dieses Berufsleben dem Tod negativer gegenüberstehen würde. Vor dem Sterben, vor dem Vorgang des Sterbens habe ich deswegen nicht weniger Angst. Ich habe Angst vor Schmerzen. Grosse Schmerzen sind eine derartige Beeinträchtigung des Lebens, dass ich eigentlich nicht einsehen kann, weshalb wir diese aushalten sollen. 

NW Ist das für Sie das Motiv, weshalb Sie Exit-Mitglied geworden sind?

LA Ja, ich bin Mitglied von Exit, soweit überzeugt, allerdings nicht überzeugt, dass ich es selber so machen würde. Es ist für mich wie eine Versicherung: Im schlimmsten Fall kannst du kneifen. Allerdings ist das, was einem am meisten Angst macht, die Demenz. Und das ist ganz schwierig. Im Juni ging ein guter Bekannter von mir per Exit. Er war sich sicher, dass er dement würde. Ich war eine der wenigen Aussenstehenden, mit denen er immer wieder darüber sprach. Er plante das seit Jahren so. Ich muss sagen, ich war sehr ambivalent.

NW Was war für Sie ambivalent?

LA Seine Frau rief mich eines Tages an, um mich wieder einmal zum Mittagessen einzuladen. Ganz nichtsahnend ging ich nicht hin. Bevor ich mich setzte, sagte der Mann: Ich muss dir mitteilen, am 11. Juni ist der Termin. Das würde in vierzehn Tagen sein. In diesem Moment kommst du schon seltsam auf den Boden. Aber er war fröhlich und ruhig und zögerte nicht im geringsten. Erst nach dem Tod traute ich mir, seine Frau zu fragen, wie das für sie sei. Sie meinte sachlich, sie hätte sich natürlich auch bereits seit Jahren an diesen Gedanken gewöhnen müssen. Es schien rundum alles zu stimmen. Aber es ermutigte mich nicht. Das Ding wirklich trinken, na ja. 

NW Stellen sich Ihnen grundsätzliche theo­logische oder philosophische Fragen zum assistierten Suizid?

LA ... ob das gegen Gottes Willen sei?

NW Das wäre nun zu banal ausgedrückt. Es geht um die Frage nach Autonomie und Abhängigkeit, nach Schicksal und freiem Willen. 

LA Diese Fragen drängen sich auf, von aussen, von meinem Beruf her. Aber sie quälen mich nicht. Ich müsste sonst auch gegen die Schmerzbekämpfung sein. Wir haben diese Möglichkeiten erhalten. Jede und jeder muss selber herausfinden, wie sie oder er damit umgehen kann. 

NW Besteht aber nicht die Gefahr einer Überforderung, selber mit diesen Optionen klar kommen zu müssen? Kann man nicht unter Druck geraten angesichts der Familie, der Gesellschaft, des Gesundheitssystems?

LA Ja, das gibt es selbstverständlich schon. Es ist aber eines der Übel der Kirche, dass sie in dieser Situation nur als Hüterin der Moral betrachtet wird. Abschleichen ist nicht unbedingt moralisch. Wenn man die Angehörigen überfährt, ist es schlimm. Ich erlebte unschöne Geschichten. Aber wenn man sich einigen kann mit seiner Umgebung, habe ich keine moralischen Bedenken. Man sagt, man sollte dem Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen. Aber das tun wir ja andauernd. Das ist kein ernsthaftes Argument. 

NW Haben Sie den Eindruck, dass die Kirche noch so viel Einfluss hat, dass sie in diesen Entscheidungsprozessen nach wie vor eine Rolle spielt?

LA Ich glaube es an sich nicht. Aber man erwartet es von ihr. Die Kirche ändert nun aber wirklich nichts an der Moral der Menschen. Jedenfalls nicht mehr. 

NW Sagen Sie dies mit Bedauern?

LA Nein, nicht mit Bedauern, aber doch mit einem Fragezeichen. Die Kirche ändert vor allem nichts an der Gesinnung der Menschen. Das finde ich schlimm. Die Menschen haben das Gefühl, sie hätten doch weder Bibel noch Predigt nötig. Aber das was – hoffentlich – gesagt wird in der Predigt, hätten sie schon nötig. Eigentlich. Was die Bibel in den Grundsätzen sagt, ist immer noch gut. Und erstaunlich modern. 

NW Wie könnte denn die Kirche im Prozess  des Sterbens und des Todes wieder relevanter werden? Wie könnte die Kirche hier aus ihrer Deckung herauskommen und die Menschen weniger im Regen stehen lassen?

LA Die Grundlage des Evangeliums müsste stärker zur Kenntnis genommen werden. Jesus wird viel zu stark als Moralapostel dargestellt und nicht als Vertreter des gütigen Gottes. Ich glaube an den Gott, der die Menschen liebt und will, dass es ihnen gut geht. Dieser Zauber mit der Sünde und der Vergebung! (Seufzt.) Die Botschaft heisst doch einfach: Du darfst sein, wie du bist. 

NW Verstehen wir Sie richtig: Die Predigt der Moral, die sowieso mit dem Kern des Evangeliums nichts zu tun hat, ist passé, aber viele Menschen identifizieren die Kirche immer noch damit?

LA Zum Glück kommt man langsam weg von diesem Lohn- und Strafsystem. Das hängt auch mit dem Glauben an ein überirdisches Jenseits zusammen, der allerdings immer noch recht stark ist. Völlig unbegründet scheint er das Dauerhafteste am Christentum zu sein. Dass wir philosophisch unterscheiden zwischen zeitlichen und ewigen Werten, ist richtig. Aber die ewigen vermögen wir einfach nicht voll zu sehen. Wir können Gott nicht erfassen. Mit diesem Gedanken hat die Theologie nicht richtig ernst gemacht. Wir haben immer noch das Gefühl, wir könnten ihm einen Namen geben, und dieser würde dann stimmen. Mit dem Alter bin ich frei geworden davon: Ich muss das nicht mehr. 

NW Was genau?

LA Ich muss Gott nicht mehr orten. Ich kann voll auf ihn vertrauen. Klar, mir ist es gut ergangen im Leben. Ich weiss nicht, wie ich die Dinge sehen würde, hätte ich es nicht so gut gehabt. Von dieser Dankbarkeit lebe ich. Sie hält mich. Vielleicht wird man so alt, um dies sehen zu lernen. Eigentlich hat man von dem, was im Leben geworden ist, sehr wenig selber gemacht. Es kam doch einfach so. 

NW Das hat viel mit dem Ringen um Autonomie, mit dem Behaupten von Autonomie, zu tun. Das ist genau der Punkt in der Debatte um Exit. Was Sie jetzt sagen, bedeutet, dass die Autonomie im Leben vielleicht an einem geringeren Ort ist, als wir denken. 

LA Natürlich. Aber ich muss dennoch nicht behaupten, Gott hätte den Suizid verboten. Wir Menschen machen das. Natürlich dürfen wir nicht einfach Leben nehmen. Aber es ist doch ein entscheidender Unterschied, ob wir das eigene nehmen oder dasjenige von jemand anderem. 

NW Männer, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, sagen eher, sie wollten über ihr Leben und Tod autonom bestimmen, je nachdem – wie der Mann, von dem Sie vorhin sprachen – ziehen sie eine Bilanz. Frauen hingegen möchten in der Tendenz eher nie­mandem zur Last fallen, weder ihren Angehörigen noch der Gesellschaft. 

LA Ich begreife auch dies. Ich habe viel gegen Geld, ich hasse Geld eigentlich. Geld ist die schlimmste Macht. Sie nimmt immer stärker Überhand. Gleichzeitig bin ich sehr froh, dass ich genug davon habe, um mir keine Sorgen machen zu müssen, meinen Angehörigen zur Last zu fallen. 

NW Das bedeutet aber, dass wir uns politisch dafür einsetzen müssen, dass alle die materiellen Voraussetzungen haben, so denken und handeln zu können. 

LA Klar. Aber deshalb verurteile ich Menschen nicht, die heute aus einer anderen Situation heraus anders handeln. Kürzlich diskutierten wir nach dem Gottesdienst darüber, wie ich zu einer eigenen Meinung komme. Wie weiss ich, was richtig ist und was nicht? Ich sagte spontan: Ich bin sehr froh, dass ich dies nicht mehr wissen muss. 

NW Ist das Ihre Freiheit des hohen Alters?

LA Ich weiss, dass ich die Welt nicht retten muss. Ich kann daran arbeiten. Aber machen muss ich es nicht. Das empfinde ich als unerhört befreiend. Aber so könnte ich nun eben auch gehen. (Lacht.)

NW In Ihrem Leben haben Sie viel getan für Veränderungen. Am Fest der Neuen Wege am 5. Mai 2018 in Zürich nahm die Jour­nalistin Iren Meier in ihrer Rede Bezug auf Sie. 

LA Das war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Ich war fassungslos. Ich wusste zwar, dass ihr unsere Begegnung in Südafrika wichtig war. Ich ging am Fest nach ihrem Beitrag spontan auf sie zu. Sie sagte, sie hätte ja gar nicht gewusst, dass ich kommen würde. Aber ich habe Mühe zu sehen, was ich da im Zusammenhang mit Südafrika gross gemacht haben soll. Ich habe ein Gerechtigkeitsgefühl. Das rebelliert, und dann spreche ich. Viel anderes habe ich gar nicht getan. Ich habe vielleicht Leute miteinander in Kontakt gebracht. 

NW An was für Menschen denken Sie?

LA An aktive. Ich bin in eine Zeit hinein geboren, in der das Thema Südafrika und Rassismus ein starkes öffentliches Interesse fand. Nach Südafrika kam das Leneli Altwegg aus der Schweiz 1970 im Anschluss an eine Versammlung des Reformierten Weltbunds in Nairobi ganz zufällig. Ich sollte in Johannesburg umsteigen, da dachte ich, dann nehme ich gleich eine Nase voll. 

NW Und es wurde eine lange Nase.

LA Ich war eine Woche dort. Ich knüpfte Kontakt zu Beyers Naudé, dem bekannten südafrikanischen Theologen und Anti-Apartheid-­Aktivisten. Durch ihn erhielt ich Zugang zu sehr vielen Menschen. 

NW Was hat Sie in dieser Südafrika-Arbeit am Stärksten geprägt?

LA Die Erfahrungen trugen unglaublich viel zu meinem eigenen Aufbau bei. Sie bestärkten mich darin, dass ich auch jemand bin, dass ich gehört werde, dort wie hier, gerade in der Anti-Apartheid-Bewegung. Ich hatte früher ein kleines Selbstbewusstsein, zuhause war ich die Jüngste. Die persönlichen Beziehungen waren sehr wichtig für mich. Beyers Naudé und ich waren einander wichtig. Er und seine Frau waren immer meine Gäste, wenn sie nach Zürich kamen. 1982 war ich auch an der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes in Ottawa. Sie war geprägt von einer Antirassismus-Stimmung, es kam zum Ausschluss von weissen südafrikanischen Kirchen. Allan Boesak, ein ebenfalls sehr bekannter farbiger südafrikanischer Theologe, wurde zum neuen Generalsekretär des Weltbundes gewählt. Ich erinnere mich gut. Ich sass beim Mittelgang im Hörsaal, wo wir tagten, und als Allan vorbeiging, stand ich selbstvergessen auf, nahm ihn in die Arme und fuhr ihm durch sein Kraushaar. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Kraushaar nicht rau sein muss, sondern seidig weich sein kann. Es war sehr lustig und sehr menschlich. 

NW Was haben Sie im Zusammenhang mit Südafrika über unsere Kirche und unser Land gelernt?

LA Man zögerte immer. Sich mit Südafrika zu beschäftigen, war schon in Ordnung, aber doch nicht so ganz. Es könnte ja gefährlich werden. Das machte mich rasend. Ich litt. Sich in den kirchlichen Strukturen und in der Anti-Apartheid-Bewegung zu engagieren, ging nicht wirklich zusammen. Vreni Schneider von der Südafrika-Mission machte mir immer wieder bewusst, was eine konsequente Haltung wäre. Der Kampf war ein Gemeinschaftserlebnis. 

NW Verbittert hat Sie diese Zeit aber nicht?

LA Nein. Aber ich wurde skeptisch der Kirche gegenüber. Das schon. Das Evangelium wird missbraucht als grundsätzliche Milde. Alles hat Platz, einerseits. Auf der anderen Seite braucht man die Moral, es ist dann plötzlich doch nicht alles möglich. Und so viel wird verwässert und verflacht. Zwischendurch gefällt es mir allerdings dann auch wieder in der Kirche. 

NW Sie haben sich in einer Männerkirche durchgesetzt.

LA Ich bin stolz, eine Frau zu sein. Wir sind nicht einfach bessere Wesen. Aber für vieles wären wir schon geeigneter als Männer … Wenn es um ein grundsätzliches Wohlwollen einander gegenüber geht. Um das Bewahren und Erhalten des Lebens. Um das Kämpfen für etwas, für andere. 

NW Sie mussten in Ihrer Generation wohl kämpfen, um überhaupt Pfarrerin werden zu können. 

LA Es ist lustig, dass dies immer vorausgesetzt wird. Aber ich habe nicht gekämpft. Ich wollte einfach studieren. Gut, wenn ich ein Mann gewesen wäre, hätte ich wohl gleich im Anschluss an die Schule studiert. Ich erlernte zuerst einen Frauenberuf. Dann fand ich, mit gut dreissig heirate ich nicht mehr, will aber auch nicht mein Berufsleben lang hinter einem Arzt her ‹hösele›. Der Wunsch nach einem Studium kam wieder hoch. Ich wollte etwas Soziales studieren und landete bei der Theologie, auch wenn sie mich anfänglich nicht wirklich interessierte, abgesehen von Teilgebieten wie Archäologie oder alten Sprachen. Erst im letzten Studienjahr konnte ich mir vorstellen, Pfarrerin zu werden, obwohl ich eigentlich viel zu wenig fromm war. Das ging dann erstaunlich gut. Zu Beginn meines Studiums konnten Frauen noch nicht ordiniert werden. Ich war in Arbeitsgruppen für eine neue Kirchenordnung, mit der das änderte. Aber so richtig durchsetzen musste ich mich nie.

NW Aber mit Ihrem Südafrika-Engagement stiessen Sie dann später auf Widerstände.

LA Ja. Aber die gingen wir kollektiv an. Sie waren zum Teil skurril. Nur indirekt vernahm ich, wenn irgendjemand munkelte, sie sei nun wieder bei diesen Halbaffen.
Aber jetzt haben wir ja gar nicht so viel vom Sterben gesprochen. 

NW Kurt Marti, mit dem Sie sich im hohen Alter noch ausgetauscht haben, hat geschrieben: «Ein Glaube, der auf das eigene Weiterleben nach dem Tod fokussiert ist, bleibt heillos egozentriert.» Und: «Was kommt danach? Oft stelle ich mir vor, mein Ego werde sich alsdann in Gottes Ewigkeit verlieren, vielleicht sogar auflösen.» 

LA Ich denke, es ist fertig nachher. Wenn nachher noch etwas ist, erlebe ich das kaum als Leneli Altwegg mit. Ewigkeit – dessen, was jetzt geschieht und lebendig ist – finde ich eine ganz schreckliche Idee. Zu Menschen, die mir sagen, dass sie schon an ein ewiges Leben glauben, sage ich immer wieder, ich könne mir nichts Schrecklicheres vorstellen. Dass es einfach ewig weitergeht: grauenhaft!

NW Benutzen Sie das Wort Auferstehung? 

LA Es gibt wohl Ewigkeit für Ideen, für geistige Werte, das schon. Ich stelle mir auch die Auferstehung von Jesus so vor. Was er gelehrt hat, ist auch mir immer noch sehr wichtig. Die Idee der Gewaltlosigkeit zum Beispiel hat für mich Ewigkeitswert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie je übertroffen wird. 

NW Gibt es einen Träger dieser Ideen jenseits unseres Lebens?

LA Ja, schon, aber vorstellen kann ich mir das nicht. Mit Lorenz Marti empfinde ich: Ich bin hineingestellt in den Mikrokosmos und in den Makrokosmos. Ich bin ein kleines Stäubchen. Kommt es jetzt darauf an? Es ist doch überhaupt nicht wichtig. Es ist ein wahnsinniges Geschenk, ein Leben verbringen zu dürfen in diesem Ganzen. Aber, wenn es ewig dauerte, würde es das Wunderbare verlieren. Und kümmern darum, was sein wird, muss ich mich nicht. Es liegt nicht an mir. Ja, jetzt fühle ich mich nicht mehr verantwortlich. Klar, für das, was ich sage, bin ich es, aber nicht mehr für die ganze Welt. Die wollen mich auch gar nicht mehr. 

NW Also wir wollen Sie schon noch. (Lachen.)

LA Ja, um übers Sterben zu sprechen … (Lacht.) Ich bin wahnsinnig dankbar für das Leben. Als junges Mädchen hatte ich oft das Gefühl, ich sei überhaupt nicht gefragt. Ich war immer sehr dankbar, wenn Leute mich brauchen konnten. Ich bin froh, wenn ich Besuch erhalte, ich kann nicht mehr oft weg. Wenn ich sage, dass ich eigentlich nicht mehr viel länger leben möchte, meine ich natürlich auch dies: Ich weiss ja nicht, ob die Leute immer weiter an mir interessiert bleiben. Aber einen Trank schlucken und gehen – das könnte ich wohl doch nicht. Geistig lebe ich angstfrei und unbekümmert.

  1. Leni Altwegg (*1924), in evangelikalen Kreisen aufgewachsen, wurde auf dem zweiten Bildungsweg Pfarrerin. Sie gehört der Religiös-Sozialistischen Vereinigung der Deutschschweiz an und wurde durch ihr jahrzehntelanges Engagement gegen die Apartheid und in vielen weiteren Projekten bekannt. Leni Altwegg lebt in Zürich.

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation humanrights.ch.

  • Kurt Seifert,

    *1949, lebt in Winterthur und ist Mitglied der Redaktion der Neuen Wege.