Am 14. Juni versammelten sich etwa 100 muslimische Frauen mit Hijab – die Foulards Violets – zum landesweiten Frauen*streik1 in Genf. Sie hielten Banner und Schilder mit folgenden Parolen: «Ne me liberez pas – Je m’en charge», «Foulards ou pas – c’est mon choix» oder «Mon foulard n’est pas la cause pour mon oppression, mais le prétexte pour mon éxclusion». Die Aussagen sind klar und deutlich: Die Foulards Violets sprechen sich für mehr Selbstbestimmung aus und verurteilen die Diskriminierungen, die sie aufgrund ihres Hijabs erleben. Es sind starke Parolen von starken Frauen* – genau das, was der Frauen*streik landesweit auf die Strasse getragen hatte.
Aber nicht alle Streik-Teilnehmer*innen waren dieser Ansicht. Laut der Zeitung Blick wurden die Foulards Violets mit folgenden Aussagen angefeindet: «Es ist eine Schande» und «Schämt ihr euch nicht, am Frauen*streik teilzunehmen?» Eine Bekannte, die mit den Foulards Violets am Streik teilgenommen hatte, bestätigte mir diese Aussagen und fügte noch eine hinzu: «Kehrt in den Iran zurück, wenn euch die schweizerischen Gepflogenheiten nicht gefallen.» Später erfuhr ich von ähnlichen Vorfällen in Bern, Basel und Zürich. Eine betroffene Frau in Bern entschied sich, den Streik zu verlassen.
Als Frau, die Rassismus schon seit Kindesalter erlebt und regelmässig als Muslima gelesen wird, weiss ich, dass eine der grössten Hürden, solche Momente als rassistisch anzuerkennen, darin besteht, dass Rassismus grundsätzlich verleugnet wird: Es gäbe ihn nicht – nicht mehr. Allenfalls bei den Rechten. Doch dem ist nicht so: Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und nur, weil wir nicht über Rassismus sprechen, heisst das nicht, dass es ihn nicht gibt. Vielmehr werden dadurch rassistische Handlungen normal.
In diesem Sinne stellt sich mir folgende Frage: Wie kommt es, dass nur der Blick über diese Vorfälle berichtete? Vor allem die als progressiv geltenden, linken Medien lobten den Frauen*streik als intersektionale Bewegung. Es war die Rede von einem grossen «Wir», einem «Wir», das es lange nicht gegeben habe, aber jetzt endlich Realität sei. Dabei wurden Muslimas* explizit miterwähnt – aber ihre Inhalte und die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt waren, ignoriert. Mit dem Hervorheben der Anwesenheit von nichtweissen, migrantischen und muslimischen Frauen* als einer neuen Kraft des diesjährigen Streiks wird zudem unsichtbar gemacht, dass Frauen* of Color bereits 1991 mitgelaufen waren.
Verbindet den diesjährigen Streik mit dem von 1991 vielleicht nicht eher, dass Muslimas* zwar mitgemacht haben, aber ihre Forderungen kaum aufgenommen wurden? Wie zum Beispiel ihre Kritik am Laizitätsgesetz, das am 10. Februar 2019 in Genf angenommen wurde. Das Gesetz verbietet Parlamentarier*innen und staatlichen Mitarbeiter*innen, religiöse Symbole zu tragen. Obwohl das Gesetz nicht ausschliesslich auf Frauen* mit Hijab zielt, wurde ein Grossteil der Diskussion rund um Hijabs ausgetragen. Das Laizitätsgesetz führt dazu, dass Frauen* mit Hijab von repräsentativen Funktionen verdrängt werden. Es reiht sich damit in eine gesamteuropäische Tendenz ein, in der Muslimas* mit solchen Regelungen in den Niedriglohn-Arbeitssektor gelenkt werden.2 Lohngleichheit war eine der lautesten Streikforderungen. Weshalb wurde die Kritik der Foulards Violets am Laizitätsgesetz dabei nicht thematisiert? Stattdessen wurde ihnen ihre Selbstbestimmung abgesprochen. Bedeutet intersektionaler Frauen*streik, dass Muslimas* gezeigt, aber nicht gehört werden sollen?
Muslimas* werden – nicht nur bei der SVP! – als Rückständige und Objekte in der Opferposition betrachtet, deren einzige Chance zur Emanzipation in der sogenannten westlichen, christlich-säkularisierten Moderne zu liegen scheint.3 Durch solch eine Haltung werden die weiss-europäischen Frauen* als emanzipiert und von frauenfeindlichen Verhältnissen befreit imaginiert. Diese Ansicht folgt einer kolonialen Logik, wonach – mit einer Adaption des bekannten Satzes von Gayatri Spivak – weisse Männer und Frauen braune Frauen vor braunen Männern retten. Diese Logik ist auch in der Schweiz wirkmächtig geblieben und wurde beim Laizitätsgesetz bemüht. In diesem Kontext sind auch die Ereignisse am Frauen*streik in Genf und schweizweit zu betrachten.
Es ist wahr, der diesjährige Frauen*streik war überwältigend und ein historisches Moment: Mit über 500 000 Teilnehmenden wurde ein kraftvolles Zeichen gesetzt. Die Euphorie hat aber nicht alle Streikenden erfasst. Lasst uns diese Ereignisse also als Anstoss nehmen und fragen, weshalb: Feminismus als Machtkritik bedeutet nämlich, genau hin zu schauen, welche Positionen zu den schwächsten gemacht werden und diese zu stärken. Das bedeutet zu analysieren, wie bei der Diskriminierung von Muslimas* Rassismus und Sexismus zusammenwirken. Denn nicht nur unsere Unterdrückung ist verschränkt, sondern, wie der People-Of-Color-Block am Frauen*streik in Zürich schrieb: auch «unsere Befreiung ist aneinandergebunden.»
Dieses * Sternchen steht für alle, die sich nicht
in eine Kategorie einordnen wollen. Es soll sichtbar machen, dass es kein einheitliches «wir», wie zum Beispiel «wir Frauen», gibt.
(Anmerkung der Autorin)
Farris, Sara R.: In the Name of Women’s Rights: The Rise of Femonationalism. Durham, NC: Duke University Press 2017
Siehe Beitrag von Jovita dos Santos Pinto in Neue Wege 10.19.
In der Kolumne Anstoss! richten Menschen of Color rund um das Netzwerk Bla*Sh ihre Blicke auf hiesige gesellschaftliche Machtstrukturen. Sie wechseln sich in der gedruckten Ausgabe der Neuen Wege Monat für Monat ab mit der Kolumnistin Iren Meier.
Wir gratulieren Bla*sh ganz herzlich zur Auszeichnung mit dem Förder-Kulturpreis des Kantons Zürich! «Bla*sh – kurz für Black She – ist ein Netzwerk Schwarzer Kulturvermittlerinnen und Künstlerinnen in der Deutschschweiz, das 2013 in Zürich gegründet wurde. Das Netzwerk setzt sich ein für die Ermächtigung von schwarzen Frauen in einer Gesellschaft, in der Weisssein und Männlichkeit weiterhin als Norm gelten. Mit lustvollen kulturellen Aktionen und Veranstaltungen tritt Bla*Sh postkolonialen Vorstellungen über schwarze Frauen entgegen. Das Netzwerk arbeitet mit hiesigen Kulturinstitutionen wie dem Filmpodium oder dem Kino Cameo in Winterthur, dem Literaturhaus Zürich, dem Maxim Theater oder dem Zürcher Theater Spektakel zusammen. Bla*Sh ist schweizweit und international bestens vernetzt, holt Persönlichkeiten nach Zürich, die weltweit grosse Beachtung finden. So gastierte beispielsweise im März 2019 die preisgekrönte Londoner Essayistin Reni Eddo-Lodge im Literaturhaus Zürich. Mit diesem Engagement verschafft Bla*Sh schwarzen Frauen eine Stimme in unserer stets vielfältiger werdenden Gesellschaft, greift brisante Fragen zu Diskriminierung und Rassismus auf und stärkt so die Diversität auf den Bühnen der hiesigen Kulturinstitutionen. Für ihre kulturelle Arbeit erhält Bla*Sh den Förderpreis des Kantons Zürich.» (Medienmitteilung Kanton Zürich vom 13.02.2020)
*1983, forscht zu Widerstand gegen antimuslimischen Rassismus in der Schweiz. Sie geht gerne an Hip Hop Festivals, liebt ihre drei Neffen und nascht am liebsten Herzhaftes.