Louise Schneider – auf der Strasse für den Frieden

Matthias Hui, 1. Juli 2017
Neue Wege 7-8/2017

Louise ist 86. Sie ist jetzt wieder oft auf der Strasse. Beim Unterschriftensammeln für die Initiative der GSoA gegen die Finanzierung von Kriegsmaterial auf dem Berner Bärenplatz kommt sie zum Beispiel mit pensionierten Offizieren ins persönliche Gespräch. Sie sagt auch ihnen: «Ich bin einfach überzeugt, und mit dieser Überzeugung werde ich ins Grab gehen: Jede Waffe und jeder Soldat auf dieser Welt sind zu viel.»

Eine Gruppe jugendlicher Schülerinnen kommt auf die grossmütterliche Unterschriftensammlerin zu. Sie sind begeistert, haben sie doch am selben Vormittag in der Schule den SRF-Dokumentarfilm über Louise gesehen. Das Gespräch nimmt kein Ende. Es dreht sich ums Altwerden, ums Sterben, um die Fragwürdigkeit der immer niedrigeren Hürden für den Altersfreitod. «Ihr seid privilegiert, dass ihr in die Schule gehen könnt. Seid dankbar dafür, setzt euch mit der Welt auseinander, seid kritisch, handelt!», gibt ihnen Louise mit.

Louise konnte nicht studieren. Sie wurde in ihrem Elternhaus geprägt von einer anderen Welt. Ihr Vater war Verdingbub gewesen, später Arbeiter in einer Fabrik, Gewerkschafter, ein «tiefroter». In einem Gespräch erzählte sie dem Journalisten Fredi Lerch von ihrer Herkunft. Als im Winter 1946/47 der Pfarrer zum  Konfirmationsbesuch in die Wohnung ihrer Eltern kam, habe er sie gefragt: «U de, was wosch wärde?» Weil sie gerne zur Kirche ging, habe sie dem Pfarrer ihr Leid geklagt und gesagt, dass sie halt gerne studieren möchte. «Du muesch itz haut begriiffe», habe der Pfarrer geantwortet, «das s’Schtudiere nid für öiergattig Lütisch.» In diesem Moment sei in ihr etwas zerbrochen. Heute sagt sie: «Gottlob han i nie dr Pfarrer mit em Herrgott verwächslet.»

Im diesem Jahr gingen Bilder von Louise um die Welt. Mit ihrer Sprayaktion vom 11. April 2017 vor der Nationalbank hat sie die Unterschriftensammlung für die GSoA-Initiative so richtig lanciert. Louise verstand sich mit ihrem Mann Paul zusammen – ihr enger Weggefährte ist in diesem Frühjahr gestorben – immer mehr als religiöse Sozialistin. In Ferienkursen der Resos lernten sie Gleichgesinnte kennen. Sie erlebten einander als Geschwister im Geist, Hansheiri und Bertel Zürrer aus Zürich, Hanni und Hans Schilt aus Langnau – Menschen, die in der Gesellschaft auch nicht oben angesiedelt waren, Menschen, die sich ebenfalls als radikale PazifistInnen verstanden.

Sogar als «Krönung meines Lebens» bezeichnete sie einmal die Erfahrung, dass in den Berner Ostermärschen ab den frühen 1990er Jahren für Louise und auch dank ihr wieder zusammenkam, was für sie  zusammengehörte: Menschen aus der Kirche und aus der GSoA gehen zusammen für Frieden auf die Strasse, Jahr für Jahr. In der Mitte Louise. An einem Ostermarsch sagte Louise zu den jungen und alten TeilnehmerInnen: «Ostern ist für die christlichen Kirchen das Fest der Auferstehung, der Überwindung des Todes nach einer schrecklichen Gewalttat. Ostern ist sozusagen die Hoffnungsbastion zur Überwindung der Gewalt und der Ungerechtigkeit.

In den Statuten der GSoA ist natürlich nichts von biblischem  Auferstehungsglauben zu finden. Dennoch ist das Ziel die Überzeugung für eine gewaltfreie, kriegsfreie Welt. Das ist der Berührungspunkt. Es gibt auch eine Auferstehung vom geistigen Tod. Hier heisst es Aufbruch gegen Resignation und Gleichgültigkeit. Hier bestimmt der Glaube an die Veränderbarkeit der Zustände unser Tun.»

Was auf der Strasse passiert, hat Louise in den 1980er Jahren gelernt. Die Jugendunruhen hätten sie so richtig «durchpolitisiert». So hat Louise nur eine Kritik gegenüber den GSoA-AktivistInnen, ihren sechzig und siebzig Jahre jüngeren FreundInnen: «Arbeitet nicht zu viel im Büro! Versprecht euch nicht zu viel vom Internet! Geht auf die Strasse, so oft ihr könnt!»

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI.