Ich bin wirklich froh, dass Schuhe binden keinem Geschlecht zugeordnet ist, sonst könnten einige von uns vielleicht noch nicht einmal vor die Tür, ohne ihren Kumpel oder Nachbarn um Hilfe zu fragen. Und ja, das klingt böse. Aber ich bin auch ein bisschen wütend. Darüber, dass ein guter Freund von mir ständig Freundinnen hat, die all diese Sachen nicht können (ausser vielleicht Schuhe binden). Und ich bin wütend, dass ich ein Muster sehe. Und darüber, dass selbst ich, die ich ein recht emanzipiertes Bild von mir selbst habe, viel zu oft in Situationen komme, in denen ich Sachen nicht kann – einfach, weil ich unsicher bin, wenn ich etwas selbst versuche.
Weil auch ich oft genug nicht das Selbstvertrauen habe, mich selber für voll zu nehmen. Weil ich weniger gut gelernt habe, Dinge anständig zu lernen, mich durchzubeissen, stark zu sein, mir meinen Raum zu nehmen, zu funktionieren. Weniger gut, als es viele Männer gelernt haben. Und natürlich, weil einige Männer das auch zur Genüge ausnutzen, bewusst oder unbewusst.
Ich habe sieben Jahre lang im Verein Fussball gespielt, und trotzdem bin ich manchmal verunsichert, wenn mir im
Park ein Ball entgegen rollt und ich ihn zurück schiessen soll. Oder ich erwische mich immer noch dabei, wie ich mir manchmal von irgendwelchen Typen Sachen erklären lasse, die ich eigentlich besser weiss.
Letztens war ich mit einem jungen Mann und einer jungen Frau Billard spielen. Sie konnten es beide nicht sonderlich gut, mit dem Unterschied, dass er es versuchte und deshalb den einen oder anderen Ball versenkte, woraufhin sein Selbstbewusstsein in Sachen Billard wuchs und er immer besser wurde. Sie dagegen war so sehr damit beschäftigt, nichts zu können und mädchenhaft vor sich hin zu kichern und sich dafür zu schämen, dass sie tatsächlich jede einzelne Kugel auf eine sich selbst demütigende Weise verschoss. Und ja, ich habe «mädchenhaft» geschrieben. Weil wir alle immer noch wissen, was das Wort bedeutet.
Wir können noch lange darüber reden, wie schlimm die Lage der Frauen in Saudiarabien ist und wie glücklich wir doch hier sein können. Wir können in der hiesigen Gleichstellungsdebatte auch die Lohnungleichheit weiter als
Hauptproblem hochstilisieren (lassen). Für mich ist das alles wertloses Gelaber, solange ich in einer Gesellschaft lebe, in der es normal ist, dass Mädchen sich «mädchenhaft» benehmen. Solange «mädchenhaft» unter anderem heisst, Dinge unsicher, falsch, mit wenig Determination und schwach auszuüben.
Solange es normal ist, dass Frauen herumdrucksen oder lächerliche Codewörter benutzen, wenn wir über unsere Menstruation reden. Solange wir uns die Stimme wegnehmen lassen von einer Gruppe, die zwar nicht schlauer, aber lauter und selbstbewusster ist. Weil sie so erzogen wird, sich selbst so erzieht und wir sie so erziehen. Solange wir uns nicht eingestehen, dass Empowerment, also Selbstermächtigung, Arbeit ist. An uns selbst, an unserem Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Eingestehen, dass wir uns in einem System befinden, das uns Frauen nicht nur weniger Rechte zugesteht, sondern unser Selbstvertrauen verstümmelt, unsere Handlungsfähigkeit einschränkt, unsere Körper auf die absurdeste Weise vereinnahmt. Und das ist schwieriger zu beheben, als das Frauenwahlrecht und eine Frauenquote einzuführen.
Ich will, dass wir uns öfter Gedanken darüber machen, wie wir all das beheben können. Ich will, dass wir uns darum kümmern. Sprecht mit anderen Frauen darüber. Sucht euch weibliche Vorbilder, die mehr tun, als schön zu sein. Sucht euch generell Vorbilder, die was können. Sucht euch ein Umfeld an Menschen, die euch bestärken, die euch Platz geben, mit denen ihr lernen könnt.