«Humor hat viel mit Hegemonie zu tun»

Geneva Moser, Matthias Hui, 18. Oktober 2021
Neue Wege 11.21

Die Mehrheitsgesellschaft lacht anders als Menschen in marginalisierten Positionen. Für diese kann Humor auch zu einer Form des Überlebens werden. Fatima Moumouni, Spoken-Word-Poetin und Moderatorin, und Edwin Ramirez, Stand-up-Comedian und Performancekünstler, schaffen sich Orte, an denen sie mit ­den­jenigen lachen, die bisher noch nicht viel zu lachen hatten.

NW: Fatima Moumouni, Sie sind Teil des neuen Buchs zur laufenden Zürcher Ausstellung The End – My Friend? Umsorgt in den Tod der Palliativorganisation Palliaviva. 
Lachen Sie da über den Tod?

FM: Ich habe ein panisches Gedicht geschrieben. Es geht darum, dass ich ultrazerstreut bin und mega busy. Und in dem Moment ­passiert der Schlag, und ich sterbe. Ich frage mich hinterher so: Oh mein Gott, jetzt habe ich diese tausend Sachen gemacht, aber war es das eigentlich wert? Und was habe ich alles unfertig liegen lassen? Manchmal habe ich diesen Panik­moment wirklich: Jetzt wäre es echt richtig dumm, wenn ich sterben würde.

NW: Ja, jetzt zum Beispiel! Wir versuchen zumindest, dieses Interview fertig zu bekommen. – Sie, Edwin Ramirez, ­arbeiten derzeit mit der Künstlerin und Dramaturgin Nina ­Mühlemann am Projekt Criptonite in der Zürcher ­Gessnerallee, einer «crip-queeren» ­Veranstaltungsreihe, die Menschen mit ­Behinderung ins ­Zentrum setzt. Was passiert da?

ER: Wir thematisieren verschiedene Aspekte des Themas Behinderung in abendfüllenden Shows mit Drag und schwarzem Humor. Nina und ich haben Freude am Theater, beide aber keine klassische Theaterausbildung. Wir haben gemerkt, dass es im Theater fast keinen Raum für Menschen mit Behinderung gibt. Diesen Raum wollen wir öffnen, allerdings nicht so, wie es oft geschieht: Menschen mit Behinderungen beteiligen sich zwar an einem Projekt, geleitet wird es aber doch von Menschen ohne Behinderung. Das gibt eine ungleiche Macht­dynamik, die Arbeit geschieht von oben herab: Da kommt irgendein Starchoreograf oder ­Dramaturg, bedient sich unserer Community und profiliert sich damit. Ein nach­haltiges Empowerment gibt es dabei selten. Darum bieten wir auf jede Veranstaltung hin auch ein Coaching durch eine*n etablierte*n Künstler*in mit Behinderung an. Das ist unsere Art, mehr Leute mit Behinderung ins Theater zu bringen.

NW: Am ersten Abend erzählten Sie Johanna Spyris Heidi nach. Warum?

ER: Uns ist aufgefallen, dass wir nicht mehr viel von Heidi wissen, diese Geschichte aber gleichzeitig ein schweizerischer Mythos ist, dessen man sich immer wieder gern bedient. In der Erzählung gibt es ja Klara, diese junge Frau im Rollstuhl. Sie kommt aus Deutschland in die Schweizer Alpen. Und die Alpenluft tut ihr so gut, dass sie plötzlich wieder laufen kann. Das fanden wir so lächerlich, dass wir es gerne nachspielen und verändern wollten: Wie hätte diese Repräsentation besser aussehen können?

NW: Da wären wir ja gespannt, wie Sie Jesus und die biblischen Heilungsgeschichten auf die Bühne bringen! – Wegen der Coronapandemie konnten Sie ja längere Zeit gar nicht auf der Bühne stehen. 
Wie geschah Ihnen dabei?

FM: Als Künstler*in ist man diesem Geschehen auf eine komische Art ausgeliefert. Man plant Shows dreimal, und dann finden sie doch nicht statt. Manchmal war ich aber fast froh, dass ich eine Weile nicht auf die Bühne musste. Ich habe mich allerdings geschämt, wenn alle sagten, «ohne (K)uns(t) wirds still». Denn ich als Künstlerin bin gleichzeitig auch sehr privilegiert, während sich Themen, über die ich spreche, intensiviert haben: die Schere zwischen Arm und Reich, Rassismus, der Umgang mit Geflüchteten … Am Anfang fand ich die Situation mega absurd. Die Schweiz ist nicht besonders krisenerprobt und lebt in der Überzeugung, dass sie ultrasicher ist. Die Panik der Leute, dass die Supermärkte schliessen und man kein Essen mehr bekommen würde, fand ich bezeichnend. Ich hatte irgendwie Freude daran, dass die Schweiz im internationalen Vergleich mit ihrem Krisenmanagement so schlecht abschnitt. Nicht aus Zynismus, sondern im Wissen darum, dass die Krisenstandfestigkeit in manchen Ländern im Globalen Süden eben auch eine Kompetenz ist. Die Welt verkehrte sich ein wenig, und das hat das Schweizer Selbstverständnis angeknabbert. 

ER: Mir erging es ähnlich. Ich mache oft die Erfahrung, dass die Welt nicht für uns Menschen mit Behinderung gedacht ist. Wir müssen viel zusätzlich planen und vorausschauen. Es war eine Genugtuung zu sehen, dass auch andere plötzlich ungewohnt viel planen und überlegen müssen. Menschen mit Behinderung, die studieren oder nicht mit einem hohen Pensum arbeiten können, sagen schon seit Jahren, dass Homeoffice und Fernunterricht für sie eine grosse Erleichterung wäre. In der Pandemie, von der alle betroffen sind, ging das plötzlich. Gibt es Hoffnung, dass nicht alle zurück zur «Normalität» von vorher wollen? Eigentlich könnten wir aus diesem katastrophalen Versagen des Systems lernen – ich bin aber nicht sicher, ob das passiert. Ich will auf jeden Fall nicht gleich wieder in Produktionsstress verfallen.

NW: Die Kulturwissenschaftlerin Sara Ahmed nimmt das Klischee der humorlosen ­Feministin spielerisch auf und spricht von der Feminist Killjoy als kritischer Rollenfigur. Sehen Sie sich als linke Komiker*innen als Killjoys, als Spassverderber*innen? Quasi indem Sie Witze machen?

ER: Es gibt ja diese Idee, dass man über alles Witze machen kann und sollte. Dabei fehlt aber zum Beispiel oft das Wissen darüber, wie sehr die Schweiz historisch rassistisch geprägt ist. Mir geht es nicht darum zu sagen: Darüber darf nicht mehr gesprochen werden. Zu behaupten, dass diese Haltung à la Cancel Culture überhandnehme, ist Blödsinn – viele dürfen noch immer viel zu viel sagen. Man kann über Behinderung sprechen, ja sogar Witze darüber machen. Es geht mir darum, einen alternativen Weg aufzuzeigen, was Humor auch sein könnte.

FM: Ich würde mich nicht als Spassverderberin verstehen. Wichtig ist mir, dass diejenigen, die noch nicht gelacht haben, jetzt erst mal lachen dürfen. Humor hat viel mit Hegemonie zu tun: Wer sagt, was lustig ist? Wer bestimmt, wie Humor funktioniert? Wenn wir diese ganze Ausländer-Comedy von vor zwanzig Jahren anschauen, erschrecken wir: Darüber haben wir gelacht! Aber was kostet dieses Lachen? Auch in der heutigen deutschen Comedyszene beobachte ich häufig, wie junge weisse Männer, die das erste Mal auf der Bühne stehen, eben auf die üblichen, klischierten frauenfeind­lichen und rassistischen Witze zurückgreifen. Das zieht halt, damit erntet man Verständnis, das ist ein kulturelles Archiv. Der Komiker ist unsicher, will aber sichere Lacher abholen. Da kann man auch einfach mal sagen: Ich finde das nicht witzig. Und auch nicht kreativ. Die immer gleichen Witze, die marginalisierte Personen schon tausend Mal gehört haben, teilweise schon im Kindergarten, sind auch einfach langweilig. Natürlich «darf» man sie machen. Die Frage ist eher: Kannst du mit den Konsequenzen leben, wenn du sie machst?

ER: Es gehört zur Kunst von Comedians, es auszuhalten, wenn die Leute nicht lachen. Dann stellt sich die wichtige Frage: Warum funktioniert der Witz nicht? Es ist ja nicht so, dass wir Menschen nicht genug Fantasie hätten, um uns andere Geschichten auszudenken. 

NW: Wie gehen Sie mit Humor von rechts oder aus der Mitte der Gesellschaft um, der völlig daneben ist?

ER: Wenn ich das Gefühl habe, eine Person sei sich dessen nicht bewusst, was sie gerade gesagt hat, oder sie sei sich der Konsequenzen nicht bewusst, aber bereit, mir zuzuhören, sage ich gerne: Hör mal, das war jetzt nicht so cool, schlage lieber diese Richtung ein, so und so könnte das auch funktionieren … Wenn aber von Anfang an klar ist, dass eine Person auf der Bühne nur provozieren will, mache ich mir diese Mühe nicht.

NW: Wo in der Schweiz ist es lustig, links zu sein?

FM: Bei mir zu Hause. Oder in Edwins In­stagram-Stories.

ER: In den Offspaces, an den nichtkommer­ziellen, kleineren Kulturorten. Deshalb ziele ich auch nicht mehr darauf ab, Stand-up-­Comedy auf den grossen Bühnen zu machen. Wenn ich auf einer queeren Party Comedy machen kann, ist das für mich interessanter und lustiger, als vor einem sehr breiten Publi­kum zu stehen und bei einsnulleins anzufangen. Viele Leute in der Schweiz wollen Stand-up-Comedy, bei der sie einfach lachen können und nicht über die Welt nachdenken müssen. Was ich an linker Comedy schätze, ist aber genau die Kritik und der Aufruf: Hey, Dinge müssen besser werden!

NW: Bekommen Sie nicht manchmal das ­Gefühl, der Linken als Feigenblatt zu dienen? Als privilegierte Menschen können wir Ihre Auftritte besuchen und uns dabei gut und sehr inklusiv fühlen. Was tun Sie, damit die Begegnung mit Ihnen auch herausfordert?

ER: Es gibt schon Situationen, in denen ich das Gefühl bekomme, ich auf der Bühne sei die einzige erwachsene Person.

NW: Das ist nun aber keine Aussage gegen Kinder, nicht wahr?

ER: Kinder sind super. – Ich frage mich manchmal schon: Wann hatte ich das letzte Mal wirklich Spass auf der Bühne, weil ich nicht immer irgendwie Gegensteuer geben muss gegen den ganzen Strom von Rassismus, Transphobie, Misogynie oder was auch immer. Ich habe das Glück, dass ich mit Criptonite ein Publikum ansprechen kann, wo ich albern und lustig sein kann. Wenn ich auf einer normalen Bühne zu albern bin, habe ich Angst, meine eigenen Anliegen zu untergraben. 

FM: Ich habe das ewig gemacht, auf diesen Ausländerveranstaltungen, wo nur Weisse sind. Das ist ein Erfahrungsschatz, und dabei ist auch viel humoristisches Material entstanden – über weisse Leute, die ernsthaft versuchen, nicht rassistisch zu sein, aber halt noch im Ich-bin-tolerant-und-finde-deine-Haare-schön-Stadium sind. Ich wollte mich aber immer stärker darauf konzentrieren, eigene Orte zu schaffen, wo ich frei sein und auf ein kulturelles Wissen zurückgreifen kann, auch wenn es dann ein innerkulturelles Wissen ist. Es ist ein Riesenunterschied, ob du auf die Bühne gehst und das Gefühl hast, dich selbst erklären zu müssen, dich selber und deinen Körper einem Publikum auszusetzen, damit dieses Publikum sich an deinen Körper gewöhnen kann, oder ob du an einen Ort gehen kannst, an dem die Leute verstehen, dass du bist wie sie und du dich nicht erklären musst, sondern auf Wissen, zum Beispiel queeres Wissen, Bezug nehmen kannst. Dann merkst du: Da entsteht etwas Neues. 

ER: Ich fing Comedy an mit dem Ziel, andere Menschen aufzuklären über mich, weil sie mich so aufgeregt hatten. Aber dieser Job ist zu gross für eine Person. Heute frage ich: Wo fühle ich mich wohl? Wo muss ich mich nicht mehr erklären? Wo kann ich einfach sein? Dort entsteht Kunst, die für mich interessant ist. Ich bin mehr als nur ein Aushängeschild für gewisse Marginalisierungen. Erneut in die Rolle, gewisse Gruppen vertreten zu müssen, gerate ich, wenn ich einen Comedian of Color sehe, der Rassismus auf die leichte ­Schulter nimmt und meint, das sei ja alles nicht so schlimm. Solche Stimmen werden von der Rechten vereinnahmt für ihre Agenda. Dort habe ich den Drang, nein zu sagen. 

FM: In Satiredebatten wird oft nicht über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut. Wenn in einer Diskussion gesagt wird, dieser oder jener Witz funktioniere nur, wenn ich das N-Wort sage, wird vergessen, was dies bei einem diversen Publikum auslöst. Oft geht man nur von einem weissen Publikum aus. Ich will mir einen Raum schaffen, in dem die Leute, die mir zuhören, nicht nur weiss sind. Ich hatte irgendwann keine Lust mehr, mich die ganze Zeit auszuziehen. Ich musste mir aneignen, ein diverses Publikum zu imaginieren und zu überlegen: Finde ich Witze, die vielleicht sogar noch vermittelnd sind, bei denen sich aber die Leute auf jeden Fall wohlfühlen, von denen ich will, dass sie es tun können? Das schafft Energie, macht mich freier und ist dann auch witziger, wohl weil man sich weniger limitiert. Das ist mir wichtiger, als die anderen zu erziehen. 

ER: Bei Criptonite rechnen wir immer mit Menschen mit Behinderung, für diese Menschen machen wir unsere Show. Wenn siebzig Prozent oder mehr im Publikum keine Behinderung haben, sind wir froh, dass sie dabei sind, aber die Show ist nicht in erster Linie für sie. Sie müssen es ertragen können, wenn wir uns über die Fussgänger lustig machen, die Nichtbehinderten. Ich, eine manchmal tollpatschige Person, komme nicht darum herum, mich auch über mich lustig zu machen. Aber das wird schwieriger, wenn das Publikum grundsätzlich andere Referenzen hat als du selber. Es ist einfacher, vor einem Publikum mit behin­derten Menschen einen Witz darüber zu machen, wie ich aus dem Stuhl fiel und dann nicht mehr hochkam, weil ich zu betrunken war, als vor einem Publikum, das ich nicht kenne. Das Feedback von Personen, die sagen: «Wow, ich habe mich repräsentiert gefühlt und auf diese Weise noch nie über meine eigene Behinderung nachgedacht», die das mit Leichtigkeit und Spass verbinden, ist schon sehr ermächtigend.

NW: In Ihrer Arbeit setzen Sie sich mit Ihrer Geschichte, mit Ihrer Person, mit Ihren Empfindungen dem Publikum aus. Ist damit Verwundbarkeit Teil Ihrer Präsenz auf 
der Bühne?

ER: Jede Person, die sich auf eine Bühne bewegt, macht sich verwundbar. Man teilt ganz persönliche Gedanken mit der Welt. Dass Leute daran anknüpfen oder sich darin erkennen können, ist das Schöne. Deshalb mache ich das: um mich mit anderen verbunden zu fühlen. Aber ich überlege mir sehr bewusst: Worüber spreche ich vor welchem Publikum in welcher Form? Ich möchte beispielsweise nicht zu schlecht über meine Eltern reden, sie sind Migrant*innen. Was ich sage, könnte auch als Waffe verwendet werden, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen andere.

FM: Ich denke oft über Verletzlichkeit und Unsicherheit nach. Ich sehe das auch als Stärke an. Verletzlichkeit bringt einen weiter und ermöglicht Reibung. Unsicherheiten haben schöpferisches Potenzial. Das will ich aber nur in sicheren Räumen erproben, nicht wie in meinen Auftritten mit 18 auf grossen Veranstaltungen, als ich noch nicht wusste, wo ich mit ­Witzen über Rassismus reinrenne. Mit Neuem zu experimentieren, muss man aus einer marginalen Position heraus sowieso tun. Das macht Comedy feiner. Ich würde allerdings nicht sagen, dass ich Comedy mache. Ich mache nicht Witze der Witze wegen, sie gehören eben dazu, genau wie im Alltag. Humor ist ein Mittel, eine Vermittlungsform, eine Kommunikationsform, eine Überlebensform. 

ER: Humor ist etwas, das passiert und zu mir gehört. Das hat zu einem Teil mit Traumata zu tun und deren Verarbeitung, zu einem ­anderen Teil aber auch nicht. Wahrscheinlich ist Humor einfach auch meine Art, über Dinge zu sprechen.

NW: Wenn Sie angesichts Ihrer Offenheit und Verwundbarkeit einmal wirklich verletzt werden: Was bringt Sie doch wieder auf die Bühne zurück?

FM: Es ist das Zusammenspiel zwischen dem Auf-der-Bühne-Stehen und dem Rückzug in den Freundeskreis. Dort kann ich Erfahrungen verarbeiten, indem ich erzähle und mich wieder neu verwundbar mache. Beim Verar­beiten entstehen auch schon die nächsten Pointen. Wie absurd war beispielsweise die Erfahrung auf der Bühne, als ich sagte, ich sei deutsch, und die Leute lachten! Ich bin sehr dankbar, dass ich einen Kopf habe, der es schafft, aus sich selbst heraus Freude zu generieren. Das hilft, aus all den kleinen bis mittelgrossen Verletzungen, die einem im Alltag passieren, wieder etwas Produktives zu kreieren, das mich kichern lässt. Ich lache mega gerne mit mir selbst.

ER: Ich mag die Idee, dass ich eine absurde Situation, in der mich jemand verletzt, wieder­verwerten und damit sogar Geld machen kann. Das fühlt sich an wie die beste Art in der Welt, jemanden übers Ohr zu hauen … Aber auch ich muss mich immer wieder auf meinen Freundes­kreis zurückziehen. Auch wenn wir alleine auf der Bühne stehen, gibt es Dutzende von ­Menschen in meinem Umfeld, die mir helfen, mit dieser absurden Welt klarzukommen. Ich trage sie immer mit mir mit.

NW: Sie haben beschrieben, wie Sie Freude aus sich selber heraus generieren. In der Geschichte unserer Zeitschrift Neue Wege wurde eher wenig Humor und Spass generiert. Mit Religion und Sozialismus 
im Untertitel sind wir scheinbar eine ­maximale Spassbremse.

FM: Ich habe schon mehrmals ein Heft herumliegen lassen, und die Leute guckten sich das an: Was?! Theologie und Feminismus und Soziologie?!

NW: Finden Sie Religiöses manchmal lustig?

ER: Ich bin nicht besonders katholisch aufgewachsen. Ich sehe in der Bibel eine Sammlung von Geschichten, die über Jahrtausende niedergeschrieben wurden und verschiedene Lektionen für uns beinhaltet. Sie können durchaus witzig sein. Wie lustig ist es, dass Gott im Alten Testament am einen Tag voll dein bester Freund ist und am anderen Tag deine ganze Familie verflucht! Religion oder Mythen finde ich etwas sehr Wertvolles. Ich kann mir aber die Freiheit nehmen, darüber – auch ein bisschen blasphemisch – zu lachen.

FM: Ich bin muslimisch. Es ist wunderbar, Religion als weiteres Gefäss für Humor zu haben, als weiteren Referenzrahmen, der mir offensteht, um Witze zu generieren oder Dinge ­witzig zu finden. So beschreibe ich Intersektionalität positiv: Ich habe verschiedene Gefässe für alle möglichen Arten von Humor, die von denjenigen abweichen, wie sie andere Kabarettist*innen oder Komiker*innen aus der Mehrheitsgesellschaft zur Verfügung haben. Aber das schafft gleichzeitig Verletzlic­h­keit, weil sich zum Beispiel viele Satire- und Humor­debatten am Islam reiben. Das ist sehr anstrengend. ­Vielen Leuten fällt die Einsicht schwer, dass es bei Witzen über Muslim*innen auch um eine marginalisierte Gruppe geht. Es ist etwas anderes, in der schweizerischen Mehrheits­gesellschaft Witze über den eigenen christ­lichen kulturellen Hintergrund zu machen als über eine Gruppe, die damit weiter an den Rand getrieben wird. Ich finde es überdies krass, wie Menschen, die religiös sind, in diesem pseudo-säkularen Raum häufig überhaupt nicht ernst genommen werden – gerade im Comedy­bereich gibt es oft kein Verständnis für die Menschlichkeit von anderen. Kritik ist dann ein Sich-Überheben über andere. 

ER: Die Idee, dass Glauben etwas Lächerliches sei, ist geprägt von einer säkularen kapitalistischen Weltanschauung. Die Haltung, wonach früher die Leute geglaubt haben, weil sie es nicht besser wussten, ist naiv. Die Geschichten, an die Menschen glaubten und glauben, haben für viele einen Wert und eine grosse Kraft. 

FM: Amen.●

 

Fatima Moumouni, *1992, ist Spoken-Word-Poetin und Moderatorin. Sie ist auf der neuen Medien­plattform DIASBOAH für eus vo eus und mit der Late Night Show Moumouni Gültekin zu sehen, bei der ­migrantischer Humor gefeiert wird (11. November, ­Kaserne Basel). Sie war bis 2019 Neue Wege-­Kolumnistin.

Edwin Ramirez, *1990, ist ein Stand-up-Comedian und Performancekünstler, der in Zürich geboren und aufgewachsen ist. Wenn Edwin nicht gerade auf der Bühne zu sehen ist, beschäftigt Edwin sich gerne mit Science-Fiction und Afro-Futurismus, oder übt sich an neuen Make-up Looks.

 

  • Geneva Moser,

    *1988, studierte literarisches Schreiben, Geschlechterforschung und Philosophie an der Kunsthochschule Bern und der Universität Basel. Sie ist Tanztherapeutin, schreibt freiberuflich und ist Co-Leitung der Neue Wege-Redaktion.

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation humanrights.ch.