Na gut, dann sind sie eben heute geschlossen. Muss ich wirklich um jeden Preis verhindern, dass mich ab und zu eine Erkältung erwischt? Und darf die Erkältung nicht einfach eine Erkältung sein – und kein Ausdruck von tief sitzenden Entwicklungsthemen im Hals (eigene Stimme! Individueller Ausdruck!) oder der Nase (Atemluft! Lebenskraft!)? Dieses Hinterfragen und Psychologisieren meiner verstopften Nase stört mich aus mehreren Gründen: Zum einen ist es Teil einer Optimierungslogik, die mich auffordert, ständig Arbeit an meiner Person und meinem Körper zu leisten. Für jeden Aspekt der Selbstsorge steht eine App zur Verfügung: Work out, Gewicht, Zervixschleim, Achtsamkeit, positives Denken. Alles lässt sich organisieren und kontrollieren. Und verliere ich einmal die vermeintliche Kontrolle, habe ich nicht nur eine verstopfte Nase, sondern auch ein schlechtes Gewissen. Ich bin ja selber schuld!
Dieses Individualisieren entpolitisiert Erschöpfung und Müdigkeit. Dabei haben diese nicht nur biografische und individuelle Gründe, sondern sind auch Ausdruck unserer Lebens- und Arbeitsstrukturen, die immer mehr prekäre, hochflexible und mehrfachbelastende Lebensbedingungen schaffen. In dieser Gesellschaft, in der das Funktionieren-Müssen oberste Priorität hat, ist kaum Raum für sie, die körperlichen Unzulänglichkeiten und die Zyklen von Kraft und Ohnmacht, die Momente der Schwäche, die Zweifel an Projekten, Visionen und Kämpfen. Und eben auch nicht für die Rotznase, den roten Hals, das Rumgehuste. Vergessen geht bei dem Narrativ des «zu viel krank» auch, dass es Umstände gibt, die ein «Weniger-tun» gar nicht erlauben: Der ständige Umgang mit Alltagsrassismus kostet Kraft und ist keine Wahl. Die Spuren, die homophobe Hetze in Körpern hinterlässt, können nicht mit der Einsicht «ich brauche weniger Stress im Leben» abgelegt werden. Auch die ständige Konfrontation mit Ableismus1, kann schwächen. Macht und Unterdrückung zu thematisieren, Gespräche über ihre Funktionsweisen zu führen, alternative und inklusive Strukturen zu etablieren, ist Arbeit. Intensive, emotionale und unbezahlte Arbeit.
Nicht alle haben das Privileg, sich mit Macht, Ausschluss und Diskriminierung NICHT zu befassen. Darum sind diskriminierungssensible Räume der Selbstsorge so wichtig2: Orte, an denen nicht erklärt werden muss, dass Homophobie und Sexismus körperlich weh tun, Orte, wo Kraft getankt werden kann, wo Menschen sich Gutes tun und sich verbünden, einander den Rücken stärken, auf die Schulter klopfen und sich unter die Arme greifen. Solche Orte möchte ich mitgestalten. Und manchmal bin ich eben einfach erkältet. Und das ist okay so.