Ein Wort zur Zeit – nicht zu den Zeiten. Ich bin alt, und zu den Zeiten sollte man junge Leute befragen, die noch Erfahrungen machen, und nicht die Alten, die glauben, Alter sei Erfahrung genug, oder wie Goethe geschrieben hat: «Erfahrung ist immer eine Parodie auf die Idee.» Ich bin ein Erzähler. Erzählen ist umgehen mit Zeit, erzählen ist Zeit haben. Die Mutter, die abends am Bett des Kindes erzählt, hat Zeit, hat endlich Zeit, und eine Geschichte hat einen Anfang und ein Ende wie das Leben. Und wüssten wir alle nichts von unserem sicheren Ende, wir wären wohl nicht auf die Idee gekommen, die Zeit zu messen, und wir hätten wohl keinen Anlass, zum Erzählen.
Also eine Geschichte: Ein deutscher Freund erzählte mir, wie er einige Jahre Schafe hütete in der Provence, hunderte von Schafen. Er erzählte von Langeweile, lange Zeit, «längi Zyt», das wunderbare schweizerdeutsche Wort für Sehnsucht und Heimweh, und er erzählte von Einsamkeit und der Langsamkeit der Zeit. Und nur, wenn
die Herde auseinanderfalle, habe man zu tun, viel zu tun, weil beide Teile glaubten, sie seien die ganze Herde, selbst, wenn der eine Teil nur aus ein paar Schafen bestehe. Auch diese paar Schafe glaubten, sie seien die Herde. Ein solches Schaf möchte ich sein.