Chris the Swiss

Laura Lots, 24. September 2018
9/2018

Anja Kofmel war ein kleines Mädchen, als sie vom Tod ihres Cou­sins Christian Würtenberger erfuhr. 1992 wurde der Schweizer Journalist nahe der serbisch-­kroatischen Grenze tot aufgefunden. Die Umstände seines Todes im Jugoslawienkrieg sind mysteriös: Christian Würtenberger wurde erwürgt, gekleidet in die Uniform einer internationalen rechtsradikalen Söldnertruppe. Warum zog der junge Basler, aufgewachsen in einem friedlichen Land, freiwillig in einen Krieg? In ihrem Kinodebüt Chris the Swiss folgt Anja Kofmel, mittlerweile erwachsen und Filmemacherin, den Spuren ihres Cousins. 

Christian Würtenberger reiste 1991, kurz nach Ausbruch des Balkankonfliktes, nach Kroatien. Für Schweizer Radiosender berichtete der junge Reporter aus dem Kriegsgebiet. Nach kurzer Zeit schloss er sich dann einer ultra-nationalistischen Söldnertruppe an der Seite der kroatischen Armee an. Kämpfte der Schweizer aus Überzeugung für die Einheit, die sich an ethnischen Säuberungen beteiligte? Oder wollte er ein Buch über den Krieg schreiben und ging bei seinen Recherchen zu weit? 

Antworten sucht Anja Kofmel in Chris‘ Notizbüchern und in Gesprächen mit Menschen, die ihm Anfang der 1990er in Kroatien begegneten. Ihre Spurensuche vor Ort dokumentiert die Regisseurin in klassischer Manier des Dokumentarfilms mit der Kamera. Was ihr Cousin erlebt und getan haben könnte, rekonstruiert die Filmemacherin mit animierten Schwarzweisszeichnungen. Diese genreübergreifende Mischung aus Dokumentar- und Animationsfilm, genannt Animadoc, lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Fakten verschwimmen. 

Das unorthodoxe Nebeneinander von gezeichneter Spekulation und nüchterner Dokumentation trägt dem Umstand Rechnung, dass Anja Kofmel keine abschlies­senden Antworten auf ihre Fragen findet. Der venezolanische Terrorist Illich Ramírez Sánchez behauptet, Christian Würtenberger sei ein Spion gewesen. Und ein spanischer Journalist erklärt, Opus Dei habe die Söldnertruppe finanziell unterstützt, um Kroatien als christliches Bollwerk gegen die muslimische Welt zu verteidigen. Ob an diesen (Verschwörungs)Theorien etwas Wahres dran ist, lässt Chris the Swiss offen. Doch das ist kein Mangel, im Gegenteil: Der Film vermittelt so eine Idee von der Zwielichtigkeit des Krieges, in dem die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Spekulation und Fakten, Gut und Böse an Trennschärfe verlieren.

Spannend ist, wie der Film quasi nebenbei problematische Männlichkeitsbilder seziert. Christian Würtenberger selbst schrieb in sein Notizbuch über das Tun seiner Söldnerkollegen: «Ein einziges Macho-Spielchen.» In einer Zeit, in der sich junge Männer aus Europa wieder freiwillig mordenden Truppen in fernen Bürgerkriegen anschliessen, bleibt dieses Statement mit Nachdruck hängen.

  1. Chris the Swiss.Dokumentarfilm von Anja Kofmel, Schweiz/Kroatien/Deutschland/Finnland 2018, 90 Minuten. Verleih: First Hand Films, www.firsthandfilms.com. Ab 19. September in den Kinos.