Alltag … in Sicherheit

Fatima Moumouni, 14. Dezember 2018
Neue Wege 12/2018

Die CDU/CSU in Deutschland hantiert mal wieder mit einem Unwort, das, wenn ich ehrlich bin, so absurd ist, dass ich es fast schon wieder lustig finde: «Asyltourismus». Ich stelle mir einen dickbäuchigen, krebsroten, aber mit starker Sonnencreme weiss gescheckten Syrer vor, der laut grölend und besoffen zu traditioneller deutscher Musik (Schlager oder so) klatscht und die «Flüchtlingskrise» auslöst, indem er halb Deutschland mit seinem riesigen Handtuch besetzt. Diese Vorstellung entspringt natürlich meiner Assoziation mit deutschem Tourismus.

Vielleicht weckt das Wort ja andere Bilder bei anderen Leuten: Womöglich geht es ja eigentlich um den Vergleich mit dem schrecklichen Urlaubsstress, eine Bleibe zu finden, sich nicht auszukennen, die Sprache nicht zu verstehen – all das, was so anstrengend ist, dass man sich fragt, ob es entspannender gewesen wäre, einfach ein paar ruhige Tage zu Hause zu verbringen. Im Falle eines vor Krieg und anderen lebensfeindlichen Umständen fliehenden Menschen ist es aber niemals entspannter, einfach zu Hause (wenn das noch besteht) zu bleiben, und so frage ich mich, was das Bild des «Asyltourismus» soll. Poetische Verklärung? Ein bisschen neidisch bin ich auf den Ideenreichtum der Nazimusen schon. All die einfallsreichen Euphemismen!

Das Wort ist nicht ganz neu, die SVP benutzt es ja schon lange («Wer hat’s erfunden?»), und die Strategie dahinter ist erst recht nicht neu: Verharmlosung. Es geht darum, Fluchtgründe und Not zu verharmlosen, um besser Stimmung gegen Flüchtende zu machen. Das funktioniert ganz gut.

Das Narrativ, von den Scharen an AusländerInnen, die alle herkommen, um ungerechtfertigt Asyl zu beantragen und auf unsere Kosten zu chillen (oder Schlimmeres zu tun), ist ja auch hierzulande weit verbreitet. Dazu kommt aber noch das blinde Vertrauen, dass die, die es «wirklich» brauchen, ja schon rechtens behandelt und aufgenommen werden, nur die «Illegalen» haben zwangsläufig Pech, denn wir können ja nicht alle aufnehmen!

Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht dokumentiert seit zehn Jahren Rechtsfälle, um aufzuzeigen, wie sich Asyl- und Ausländergesetz auf betroffene Menschen auswirken. Jährlich gibt sie Berichte über die Fälle heraus, die man von ihrer Homepage herunterladen kann. Darin vernimmt man dann, wie mit denen, die den Schutz also «wirklich» brauchen, letztendlich umgegangen wird. Schaurige Geschichten sind in den Berichten zu lesen! Behörden, die ohne Begründung den Aussagen von Frauenhäusern misstrauen, gewalttätige PolizistInnen, Retraumatisierung durch rüpelhafte Befragungen, Verweigerung von notwendiger medizinischer und psychiatrischer Behandlung, hyperbürokratisches Hin und Her. Die Frage nach dem sicheren Herkunftsland lässt sich so auch umdrehen: Ist das Ankunftsland denn wenigstens sicher? Nein, zumindest nicht mit Sicherheit!

Manchmal stelle ich mir vor, ganz naiv in eines dieser Asyltourismus-Herkunftsländer zu gehen, und wenn mich jemand dort fragen würde, wie es in der Schweiz so ist, so im Gegensatz zu dem Ort, an dem es vielleicht gar nicht so sicher ist, findet dann folgendes Gespräch statt:

Wie sicher ist die Schweiz?

– Sehr sicher.

Wie sicher?

– So sicher, dass man in der Uni aufs Klo gehen kann und sein Macbook, das über tausend Franken wert ist, einfach am Arbeitsplatz in der Bibliothek lassen kann.

Hm, das klingt sehr sicher. Wie sind die Strassen?

– Die sind so sicher, dass Baustellen regelmässig teure Arbeitsgeräte und Baumaterial über Nacht ungesichert stehen lassen. Sogar Pflastersteine!

Aber, ich meine die Stras­se, wie ist es auf den Schweizer Strassen?!

– Ah, die sind so sicher, dass man in einer Entfernung von zehn Metern vor einem Zebrastreifen nur andeuten muss, man möchte die Strasse überqueren, und ein Gefährt, mit der Kraft von 230 Pferden, bleibt stehen, und dessen Fahrerin winkt dich freundlich rüber!

Und wie ist das mit den Menschen? Sind die sicher?

– Ja! Die sind sogar sportlich! Das Motto der Sicherheitsdirektion, und die wissen ja viel über Sicherheit der Leute, lautet «sicher – sozial – sportlich»!

Wenn ich jetzt aus einem unsicheren Land vor einer unsicheren Situation fliehe, kann ich mir sicher sein, dass ich in der Schweiz sicher bin?

– Nein

Ok, aber wenn ich aus einem unsicheren Land oder aus einer unsicheren Situation fliehe und einer Gruppe angehöre, die besonders unsicher ist, kann ich mir dann sicher sein, dass ich in der Schweiz sicher bin?

– Nein.

Es ist eine Schande, Schweizer Asylinstitutionen auf Menschen loszulassen. Besonders auf solche, die besonders gefährdet und verletzlich sind. Denn die sind bei uns nicht sicher. Gewalt ist kein Monopol der unsicheren Länder, bei uns sitzt sie hinter dem Schreibtisch und schreibt zynische Wegweisungsverfügungen.●

  • Fatima Moumouni,

    *1992, war 2012 bayrische U20-Meisterin und deutschsprachige U20-Vizemeisterin im Poetry Slam. Sie schreibt schnelle, laute Texte, tritt damit seit fünf Jahren auf Bühnen
    im gesamten deutschsprachigen Raum auf und schwenkt seit fünf Jahren einen Ausländerausweis in ihren Händen – sie wohnt seitdem in der Schweiz.