Alles andere als schwarz-weiss

Sr. Paula Kassenbrock, 25. März 2021
Neue Wege 4.21

Ordenskleidung ist keine Berufskleidung wie jede andere. Sie kann Ausdruck einer leben­digen Gottesbeziehung sein und ihrer Vertiefung dienen. Für eine Benediktinerin steht der schwarz-weisse Habit dafür, dass Gottvertrauen das Leben bunt machen kann.

Ich lief mit einer Mitschwester über einen belebten Platz in der Innenstadt: zwei junge Frauen in traditioneller benediktinischer Ordenskleidung, nur die Gesichter sichtbar zwischen schwarz-weissem Kleidergeflatter. Wenn Sie, liebe*r Leser*in, uns gesehen hätten – was wäre Ihr erster Gedanke gewesen? Selbst wenn Sie religiösen Phänomenen gegenüber aufgeschlossen und noch nicht (ganz) an der katholischen Kirche verzweifelt sind, vielleicht ein überraschtes «Was machen die denn hier?» oder «Dass es so etwas noch gibt!».

Ja, es gibt sie tatsächlich noch, solche Exot*innen in Ordenskleidung! Ich bin eine von ihnen, und noch dazu des religiösen Konservatismus oder der Unterdrückung durch patriarchale Kirchenstrukturen ziemlich unverdächtig: Ich bin nicht religiös erzogen, stehe kirchenpolitisch links der Mitte und habe eine theologische Ausbildung genossen, in der Klerikalismus keinen Platz hatte, hingegen die Verbindung von Theologie und aktuellen Lebenswirklichkeiten umso mehr. Nicht trotz dieser Prägungen lebe ich heute im Kloster, sondern mit und vielleicht sogar wegen ihnen, Ordenskleid und Schleier inklusive. Im Folgenden gebe ich einige Einblicke, was es für mich bedeutet, diese Kleidung zu tragen.

Zunächst liegt es wohl nahe, das Ordens­kleid als eine Art «Dienstkleidung» zu verstehen, die sich für meinen «Beruf» als praktisch erwiesen hat. So trägt das Ordenskleid zu einem schlichteren Lebensstil bei, denn ich brauche damit nicht regelmässig neue Kleidung und bin von modischen Entwicklungen unabhängig. Es fördert ein achtsames Leben, weil ich mich in weiten Gewändern vorsichtiger bewegen muss. Es hilft mir, mich zu konzentrieren und zum Gebet zu sammeln, weil ein durch den Schleier verkleinertes Sichtfeld weniger Ablenkung zulässt. Es verschafft mir mehr qualitative Lebenszeit, weil ich nicht entscheiden muss, was ich anziehe. Solche praktischen Begleiterscheinungen treffen allerdings noch nicht den Kern dessen, was Ordenskleidung ausmacht. Drei Dimensionen sind mir dabei persönlich wichtig.

Ausdruck von Beziehung

Die erste und für mich grundlegende Dimension: Ordenskleidung ist für mich weniger Ausdruck eines Berufs als einer Beziehung. Wer heutzutage bewusst christlich leben will, hat wohl im Leben – wie subtil auch immer – irgendwie die Erfahrung gemacht, dass Gott Menschen persönlich anspricht und zu gelingendem Leben einlädt. Um auf diese Erfahrung des «kontaktfreudigen» Gottes auf besonders umfassende Weise zu antworten und sie in allen Lebensvollzügen zu vertiefen, bin ich ins Kloster eingetreten. Das Tragen des Ordenskleides, das in vielen Orden zum Klosterleben dazugehört, ist für mich ein Ausdruck der Verbindlichkeit dieser Lebensentscheidung: Jedes Mal, wenn ich mich anziehe oder bewege, werde ich ganz handgreiflich/greifbar daran erinnert, dass ich meiner Gottesbeziehung in meinem Leben Raum geben, mich buchstäblich «mit Haut und Haaren» auf sie einlassen will. Gleichzeitig mache ich mir bewusst, dass meine Entscheidung erst als Reaktion auf die ihr vorangehende Initiative Gottes möglich ist. Sie trägt mein Leben und umfängt es in Treue wie die weiten Gewänder, die sie bezeichnen. Paradoxerweise müsste ich sagen: Ich trage Ordenskleidung – und damit eine mir vorgegebene, traditionelle Art von Kleidung –, gerade weil ich meine Identität nicht von äusseren Vorgaben oder gesellschaftlichen Rollen her definiert wissen will, sondern von Gottes unbedingter Entschiedenheit für mich und alle Menschen her. Auf sie soll mein Lebensstil eine Antwort sein.

Formung von Gewohnheiten

Nun ist Identität aber bekanntermassen nichts Statisches. Deshalb ist eine zweite wichtige Bedeutungsdimension des Ordenskleides für mich seine performative Wirkung. Wir sprechen vom «Habit» und drücken damit schon aus, dass er der Formung von Gewohnheiten dient. Dass ich einen Grossteil des Tages als Ordensfrau gekleidet bin, ist – zumal für mich als relative Anfängerin im klösterlichen Leben – nicht nur Ausdruck einer schon vorhandenen Lebenshaltung, sondern hilft auch, diese weiterzuentwickeln: Ich trage den Habit nicht nur, um mich an die Priorität der Gottesbeziehung in meinem Leben zu erinnern, sondern mehr noch, um diese auf mich zurückwirken und meine Identität sowie mein geistliches Leben prägen zu lassen. Dabei hilft äusserliche Vermittlung.

Für mich persönlich ist beim Tragen von Habit und Schleier der Gedanke zentral, dass ich mich spürbar in Dienst genommen und dazu aufgerufen weiss, auf eine Weise zu leben, die sich am Anspruch und Vorbild Jesu Christi misst. Dass ich durch mein klösterliches Leben Antwort geben will auf die Erfahrung Gottes, die ich in meinem Leben zu machen glaube, ist ja nicht nur ein frommer Gedanke. Es ist eine Entscheidung für eine grundlegend christliche – das heisst für mich: aufmerksame, lebensbejahende, zuversichtliche, engagierte – Lebenseinstellung. Sie will ich einüben, damit sie meinen Umgang mit Gott und anderen Menschen prägt. Wie meine, zugegebenermassen umständliche, Kleidung fordert mich auch diese Lebensweise. Sie ist nicht immer bequem, sondern kostet mich etwas. Sie schliesst die Notwendigkeit ein, meine eigenen Interessen bisweilen zurückzustellen, um für andere verfügbar zu sein. Andererseits gilt aber auch: Sie stellt mich mit anderen gemeinsam auf den Weg, vermittelt mir, dass Gottes Entschiedenheit für mich allem zuvorkommt, was ich von mir aus leisten kann, dass meine Identität nicht davon abhängt, was ich mir kaufen kann oder wie ich mich selbst «inszeniere».

All diese Einsichten, die der Habit symbolisiert, will ich verinnerlichen, sodass sie im Lauf der Zeit mein Leben und Handeln prägen und mich zum hoffnungsfrohsten und zugewandtesten Menschen machen, der ich sein kann. Dieser Anspruch und Zuspruch betrifft natürlich nicht nur Ordensleute, sondern letztlich jede*n, der/die ernsthaft/bewusst/entschieden christlich leben will. Gerade weil es um einen langen inneren Entwicklungsprozess geht, der in unterschiedlichsten Lebenslagen immer wieder fortgesetzt und aktualisiert werden muss, hilft mir die äusserliche Unterstützung, die das Ordenskleid bietet. Es trägt dazu bei, mein Leben auf Wesentliches zu konzentrieren. Nach meiner bisherigen Erfahrung kann ich, gerade indem ich auf dieser äusserlichen Ebene meine Individualität etwas zurücknehme, ganz neue Seiten an mir erfahren. Ich lerne, mich auf vertiefte Weise auszudrücken. Eine wichtige Wegmarke im Prozess, die eigene Identität vor Gott zu entfalten, ist die feierliche «Einkleidung», bei der man vonseiten der Gemeinschaft das Ordenskleid empfängt. Sie drückt die steigende Verbindlichkeit aus, mit der man sich darauf einlässt.

Gottes Menschenfreundlichkeit erkennen lassen

Was für mich als Einzelne gilt, gilt ebenso auf der Ebene der Gemeinschaft: Auch uns als Gruppe dient der Habit als Erinnerung an unsere gemeinsame Ausrichtung und unseren Auftrag. Indem wir gleiche Kleidung tragen, nehmen wir uns als Gemeinschaft von Gleichwertigen wahr und wachsen so im Lauf der Zeit hoffentlich auch von innen her als glaubende Gemeinschaft immer mehr zusammen, um gemeinsam wirken zu können. Auch das ist ein andauernder Prozess und – wie man sich im Zusammenleben von in unserem Fall rund vierzig Frauen vorstellen kann – nicht immer leicht und selbstverständlich.

Bei alledem darf ich das Mittel aber nicht zum Selbstzweck werden lassen: Bloss weil ich wie eine Nonne oder Christin aussehe, habe ich nicht schon etwas vom Christsein verstanden. Tatsächlich ist es umgekehrt: Ich trage Habit und Schleier, weil ich christliches Leben lernen will, weil ich mich prägen lassen will von der Menschenfreundlichkeit Gottes. Sie kommt von aussen auf mich zu und will immer mehr verinnerlicht und in einem Leben im Einsatz für Gottes geliebte Welt verwirklicht werden. Paradoxerweise müsste ich sagen: Ich trage diese Kleidung, um sie irgendwann nicht mehr nötig zu haben – wenn ich durch mein Leben und Handeln für das stehe, was sie bedeutet.

Das führt mich zurück zu der anfangs beschriebenen Situation, als ich mit einer Mitschwester in der Innenstadt unterwegs war: Bei unserem Anblick zupfte ein kleines Kind seine Mutter am Arm und fragte: «Mama, die glauben an Gott, oder?» Leider konnte ich die Antwort der Mutter nicht hören. Aber bei der Frage des Kindes hat mich beeindruckt, wie präzise es das Zentrum unseres Lebens erfasste. Intuitiv brachte es unsere Art, uns zu kleiden, mit unserem Glauben in Verbindung. Bemerkenswerterweise war die Kleidung nicht Anlass zur Abgrenzung, sondern zur Neugier. Dies zeigt für mich die Relevanz der Aussenwirkung von Ordenskleidung, ihrer dritten Bedeutungs­dimension. Natürlich falle ich auf, wenn Menschen «von draussen» mich sehen. Ich werde nicht zuerst als Privatperson, sondern als Vertreterin der Institution Kirche oder zumindest der exotischen Spezies «religiöser Mensch» wahrgenommen. Nach meiner bisherigen Erfahrung besteht in der Konfrontation zwischen «Klosterwelt» und «Aussenwelt» vor allem eine Chance zu anregendem Austausch. Ob eine positive Begegnung zustande kommt, hängt davon ab, ob der Habit authentisch getragen wird, also ob diejenigen, die als Repräsentant*innen eines christlichen Lebens auftreten, auch als tiefsinnige, weitherzige Persönlichkeiten wahrnehmbar sind: Lassen sie etwas von Gottes Menschenfreundlichkeit erkennen und stehen so den vielen abschreckenden Eindrücken entgegen, die die katholische Kirche heute oftmals hinterlässt?

Distanz und Vermittlung

Die Zeitgemässheit und Relevanz von Ordenskleidung hat für mich entsprechend viel mit ihren Träger*innen zu tun. Dass unser traditioneller benediktinischer Habit und bei uns Frauen zusätzlich der Schleier gerade im Umgang mit Menschen, die wenig kirchliche Erfahrung haben, distanzierend wirken kann, ist für mich ein grosses Problem. Zwar ist er für viele immer noch ein ermutigendes Zeichen, dass wir für persönliche Anliegen ansprechbar sind und man uns ein gewisses Einfühlungsvermögen zutrauen kann. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er andere einschüchtert oder abstösst. Dennoch denke ich: Solange durch unsere Erscheinung bei manchen Fragen geweckt und sie damit konfrontiert werden, dass es Menschen gibt, für die der Glaube so prägend ist, dass sie ihr ganzes Leben darauf gründen wollen – so lange, finde ich, hat der Habit eine wichtige Funktion. Wir, die ihn tragen, tragen auch die Verantwortung, immer wieder Vermittlungswege zu suchen zwischen dem positiven Bekenntnischarakter des Habits – der einlädt, sich auf ein Leben im Grundvertrauen auf Gott einzulassen – und der potenziell abschreckenden Wirkung einer Kleidung, die für viele völlig fremd und steif wirkt. Motivation für das Tragen des Habits in der Öffentlichkeit ist für mich, damit zu Vertrauen und Verständigung beizutragen, und sei es im noch so kleinen Massstab meines Alltags. Dass sich dabei wiederum Paradoxien ergeben, macht meine Kleidung vielleicht umso wirkungsvoller: Ich provoziere durch meine Erscheinung, um zu versöhnen. Ich hebe mich optisch ab, um für den Gott zu werben, dessen Menschenliebe keine Unterschiede kennt. Ich kleide mich einheitlich mit meinen Mitschwestern, um dafür einzustehen, dass Vielfalt in Gottes Sinne ist. Ich trage Schwarz und Weiss, um zu vermitteln, dass Gottvertrauen das Leben bunt macht.

Alle drei beschriebenen Dimensionen vermitteln vielleicht etwas davon, warum ich meinen Habit gerne trage: Er ist Ausdruck meiner Gottesbeziehung, er prägt meinen Entwicklungsprozess als Christin, und er lädt Menschen zur Beschäftigung mit Gott und gelingendem Leben ein. Nur unter zwei Bedingungen wäre er für mich heute nicht zeitgemäss: Zum einen, wenn ich so aus Gottvertrauen heraus lebte, dass ich es nicht mehr nötig hätte, mich von seiner Symbolik prägen zu lassen. Und zum anderen, wenn in unseren Gesellschaften eine so tiefe Lebensfreude und ein solches soziales Miteinander herrschten, dass man niemanden mehr bräuchte, der/die zum Nachdenken über einen guten Gott und gelingendes, menschenwürdiges Leben herausfordert. Da beide Fälle wohl einstweilen nicht eintreffen werden, will ich meine Zeit als Exotin nutzen: Ich will mich bemühen, mein Ordenskleid authentisch tragen zu lernen, wie es dem Gott entspricht, den ich als tragenden Grund meines Lebens erfahre.

  • Sr. Paula Kassenbrock,

    *1988, ist in der Ordens­ausbildung als Benediktinerin in der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim am Rhein. Vor ihrem Klostereintritt hat sie Theologie und Anglistik ­studiert und dann als Lehrerin gearbeitet.